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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Dörner, Gerald [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0223
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Einleitung

war220. Ab Oktober 1541 gab es konkrete Pläne für einen Feldzug der Schmalkaldener gegen den Herzog. Im
August 1542 wurde das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel dann von den Truppen des Schmalkaldi-
schen Bundes eingenommen. Herzog Heinrich floh mit seinen beiden ältesten Söhnen nach Landshut. Das
Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel wurde nun von Statthaltern des Schmalkaldischen Bundes regiert.
Als eine der ersten Maßnahmen führten die Statthalter die Reformation im Herzogtum ein221.
Die Goslarer nutzten die Gunst der Stunde zur Eroberung von Schloß und Amt Harzburg. Darüber
hinaus kam es zu Übergriffen auf Stifte und Klöster: So besetzten die Goslarer das Kloster Wöltingerode.
Der Grauhof, auf dem die Kanoniker vom Georgenberg nach der Zerstörung des Stifts im Jahr 1527
Zuflucht gefunden hatten, wurde eingenommen und die Wirtschaftsräume geplündert. Überdies wurden
einige der Stiftherren verprügelt und die Heiligenbilder zerstört222. Mit dem Bundesbeschluß vom 12. Sep-
tember 1542, dem sogenannten Braunschweiger Abschied, endete die Zwangsverwaltung über dem Berg-
wesen am Rammelsberg. Goslar wurde vom Bund das Recht zuerkannt, das Eigentum und die Einkünfte
der Stifte St. Simon und Judas und Riechenberg sowie der Frauenklöster Frankenberg und Neuwerk an sich
zu nehmen und für die Unterhaltung der evangelischen Kirchen und ihrer Pfarrer sowie der Schulen und
Hospitäler zu verwenden223.
Bei der im Handschriftenband Ms. germ. fol. 716 der SPK Berlin überlieferten „Reformatio [...] in
Franckenbergh coenobio“ von 1542 handelt es sich um einen Entwurf für die Umwandlung des Magdale-
nerinnenklosters in ein evangelisches Frauenstift224. Eine vollständige Aufhebung des Hauses scheint zu
diesem Zeitpunkt noch nicht erwogen worden zu sein (s. dagegen Nr. 16a, S. 280). Die Nonnen sollen zur
Aufgabe der Regel und der bisher gültigen Konstitutionen sowie zur Ablegung des Habits verpflichtet
werden. Es steht ihnen frei, das Kloster zu verlassen und sich zu verheiraten; sie erhalten dann vom Rat
eine angemessene Unterstützung. Bei den im Kloster verbleibenden Frauen soll auf eine stärkere Einhal-
tung der Klausur geachtet werden225. Mit der Erziehung von Goslarer Bürgertöchtern wird den Frauen eine
neue Aufgabe zugewiesen.
Wie in der vom Superintendenten Widensee 1534/35 für das Stift St. Simon und Judas entworfenen
Ordnung (Nr. 11, S. 264) wird auch in der „Reformatio“ auf den Gehorsam der Frankenberger Nonnen
gegenüber dem Rat als der von Gott eingesetzten Obrigkeit gedrungen. Die Aufsicht über das Kloster
nimmt der Rat durch zwei Vertreter aus seinen Reihen wahr. Eines der drängendsten Anliegen der städti-
schen Führung, die Kontrolle der Klostergüter, ist durch den vom Rat eingesetzten und zur jährlichen
Rechnungslegung verpflichteten Propst erfüllt.
Mönchen und Priestern wird mit der „Reformatio“ der Zugang zur Frauengemeinschaft verwehrt.
Deren seelsorgerliche Betreuung übernehmen jetzt der Pfarrer und der Kaplan der Frankenberger Kirche.
Die Frauen sollen an den Gottesdiensten in der Frankenberger Pfarrkirche teilnehmen, die dem Kloster
inkorporiert war226. Da die Gemeindeglieder den Nonnenchor im Jahr 1528 abgerissen hatten, waren die
Frauen gezwungen, unter den Gemeindegliedern zu sitzen. Die Feier der Kanonischen Stunden ist den
Frauen freigestellt (haec libere facient et non coacte). Sie wird als geistliche Übung zur Vertiefung des Wort
Gottes verstanden. Betont wird im „Ordo ceremoniarum“ die Bindung an die Heilige Schrift: Es soll nichts
gelesen und gebetet werden, was nicht in der Bibel steht. Im Unterschied zu der von Widensee für das

220 Vgl. Haug-Moritz, Schmalkaldischer Bund, S. 82-87.
Seit 1538 war die Lage Goslars auf allen Bundestagen der
Schmalkaldener behandelt worden.
221 Vgl. Blume, Goslar und der Schmalkaldische Bund,
S.107-109.
222 Ebd., S. 109f. In einem Mandat des Reichskammerge-
richts wurde Goslar 1543 zur Rückgabe des Vorwerks
Grauhof aufgefordert (ebd., S. 118).

223 Der Braunschweiger Abschied wird von Blume referiert,
ebd., S. 110f.
224 Vgl. dazu im Abschnitt über die Kirchenordnungen der
Grafschaft Schaumburg die Einleitung S. 34-37 und 43-46
sowie die Texte Nr. 4, 6a und b, 7, 15 und 16.
225 Zu diesem Zweck wird selbst die Beherbung und Versor-
gung fremder Personen im Kloster untersagt.
226 Vgl. oben S. 181.

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