Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0228
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Goslar

18. Die „Neue Ordnung“, 25. September 1548 (Text S. 293)
Im Jahr des Interims erließen der Goslarer Rat, die Gilden und Gemeine eine umfassende Rechtssatzung,
die den Titel „Neue Ordnung“ trägt. Diese wurde öffentlich verlesen und darüber hinaus durch Aushang
bekannt gemacht251. Aus ihr übernommen wurden hier lediglich die Teile, die im Rahmen unserer Edition
von Bedeutung sind, also die Abschnitte zu Ehe und Hochzeit, zur Feier der Kindertaufe, zur Bekämpfung
von Vergehen wie Ehebruch, Kuppelei und Wucher sowie die zur Verwaltung der Kirchen und Spitäler.
Die „Neue Ordnung“ von 1548 greift eine Reihe von Themen auf, die bereits im zweiten Teil der
Kirchenordnung Amsdorfs von 1531 (Nr. 7) oder in der Zuchtordnung von 1537 (Nr. 13) mehr oder weniger
ausführlich behandelt worden waren252. Den Ausgangspunkt der Ordnung bildet die von der städtischen
Führung an alle Bewohner Goslars gerichtete Mahnung, in der Furcht Gottes zu leben und ihm für alle
Wohltaten Dankbarkeit zu erweisen. Entsprechend stehen die Bestimmungen zur Wahrung der Ehre Gottes
und zur Bekämpfung aller gegen Gott gerichteten Handlungen (Gotteslästerung, Aberglauben) am Beginn
der Ordnung. Zur Beachtung der Ehre Gottes gehört auch die Heiligung der Sonn- und Feiertage. Dabei
wird hier aber nicht nur die Verpflichtung zur Arbeitsruhe eingeschärft, sondern gerade auch der geistliche
Aspekt der Feiertagsheiligung (die Möglichkeit zu geistlichen ovungen, Gotts wordt flitig tho horende, tho
bedende, dem Heren stille holden) hervorgehoben.
Breiten Raum nehmen in der „Neuen Ordnung“ die Bestimmungen zur Eheschließung und zur Gestal-
tung der Hochzeitsfeiern ein. Um allerleye unwillen, zanck und hader zu vermeiden, soll die Eheabsprache
fortan in schriftlicher Form erfolgen und möglichst auch ins Ratsbuch eingetragen werden. Wie bereits in
der Kirchenordnung von 1531 bildet der Besitz des Bügerrechts die Voraussetzung für die Eheschließung
(Nr. 7, S. 249). War in der Kirchenordnung von 1531 noch von einer zwei- bzw. dreimaligen Abkündigung
der Ehe von der Kanzel die Rede, ist das Aufgebot hier auf einen Termin (den vorausgehenden Sonntag)
beschränkt. Das Problem möglicher Einwände gegen die geplante Ehe spielt im Unterschied zur Kirchen-
ordnung keine Rolle. Die Trauung soll in der Kirche vollzogen werden; der Rat kann aber Ausnahmen
gestatten. Für den Kirchgang vorgesehen sind der Sonntag und der Montag. Die Veranstaltung der Hoch-
zeitsfeiern und ihr Umfang, ob es sich um eine grote oder kleyne wertschopp handelt, mußten dem Rat eine
Woche vor dem Termin angezeigt werden. Wie in den Hochzeitsordnungen anderer Städte finden sich auch
in Goslar entsprechende Bestimmungen zur Zahl der Gäste und zur Menge der Speisen253.
Die „Neue Ordnung“ enthält einen ausführlichen Abschnitt zu den eheluden. Daß sich die städtische
Führung hier auf unsicherem Boden befand, zeigt eine Anfrage des Goslarer Rates bei den Wittenberger
Theologen vom Beginn des Jahres 1548. Anscheinend war den Ratsherren die Kompetenz, Entscheidun-
gen in Eheangelegenheiten zu treffen, bestritten worden254. Konkreter Auslöser war dabei ein Beschluß des
Rates in Fragen der Verwandtschaft bzw. Schwägerschaft. In ihrer Stellungnahme erkannten Melan-
chthon, Bugenhagen und Cruciger dem Goslarer Rat als der ordentliche[n] weltliche[n] oberkeit das Recht
zu, in Eheangelegenheiten zu entscheiden, und räumten ihm bei der Auslegung der im Buch Leviticus
enthaltenen Vorgaben bezüglich der verbotenen bzw. erlaubten Grade auch einen gewissen Ermessens-
spielraum ein; sie drängten den Rat aber gleichzeitig auch, zur Klarstellung ein entsprechendes Mandat zu
veröffentlichen255. Darauf scheint der Rat aber zunächst verzichtet zu haben: Eine entsprechende Rege-

251 In welcher Form dies bei der doch beträchtlichen Länge
der Ordnung geschah, ist nicht bekannt. Gedruckt worden
scheint die Ordnung jedenfalls nicht zu sein.
252 In der Zuchtordnung von 1537 wird z.B. die Gültigkeit
einer Reihe früherer Regelungen zur Feier der Hochzeiten
und Kindertaufen bestätigt und die Höhe der Bußen bei
Verstößen gegen die Bestimmungen zur Bewirtung der
Gäste bei den Hochzeitsfeiern (den sogennanten kleynen

und groten wertschoppen) der Zeit angepaßt. 1548 erlebte
nun gerade dieser Bereich der Hochzeitsfeierlichkeiten
eine umfassende Neugestaltung.
253 Vgl. z.B. Sehling, EKO XX,2, S. 532-534.
254 Vgl. Titz-Matuszak, Eherecht und Ehealltag, S. 138.
255 Das Schreiben Melanchthons, Bugenhagens und Cruci-
gers befindet sich im Bestand B 4563 des Goslarer Stadt-
archivs, der zahlreiche Gutachten von Reformatoren ent-

208
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften