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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Dörner, Gerald [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0241
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Einleitung

benden. Die Stiftsherren lagen mit der Zahlung anscheinend einige Jahre im Rückstand. Wohl gar nicht
umgesetzt worden war die 1555 gegebene Zusage, freiwerdende Pfründen zur Förderung von Schulen und
Bürgerkindern zu verwenden. Weitere Anliegen des Rates betrafen u.a. den Zugang zur Klausur, die Aus-
lieferung der Registraturen und die Anfertigung von Kopien der alten und neuen Statuten. Heftige Vor-
würfe wurden gegen den Dekan des Stifts erhoben. Die Ratsherren hielten es sogar für nötig, ihn daran zu
erinnern, das er nur mit ihrer Hilfe zu seinem Benefizium gekommen war349.
Von den bestehenden Spannungen zeugen mehrere, Ende des 16. und Anfang des 17. Jh. vor dem
Reichskammergericht ausgetragene Prozesse, deren Akten noch erhalten sind350. Auch die Tatsache, daß im
Abstand von nur wenigen Jahre zwei Verträge nötig waren, um einen Ausgleich der gegenseitigen Interessen
zu erzielen, zeugt von den Schwierigkeiten im Miteinander von Rat und Stiftskapitel.
Der am 4. Mai 1605 abgeschlossene Vertrag enthält zwei Teile: Im ersten sind die Verpflichtungen des
Kapitels aufgeführt, im zweiten die des städtischen Magistrats. Die Stiftsherren sagten darin zu, an der
Confessio Augustana festhalten und nur evangelischen Kandidaten Aufnahme in das Kapitel gewähren zu
wollen. Dem Rat wurde das Recht zur Inventarisierung der Kleinodien des Stifts eingeräumt, nachdem in
den zurückliegenden Jahren eine Reihe von Reliquiaren und anderen kostbaren Gegenständen dem Stift
abhanden gekommen war351. Mit der Zusage, jährlich 100 Gulden für die Erträge aus den vier Präbenden
und für die Türkensteuer zu zahlen, wurde der Vertrag aus dem Jahr 1555 aufgehoben. Der Rat seinerseits
sagte dem Kapitel wiederum Unterstützung bei der Durchsetzung von dessen Forderungen zu. Mit dem
Recht, Bier für den Eigenbedarf zu brauen, bestätigte er den Kapitularen ein altes Privileg, das aber kaum
mehr Bedeutung besaß, da die meisten Stiftsinsassen das Bier lieber bei einem der weltlichen Brauunter-
nehmer kauften oder in einem der Wirtshäuser konsumierten352.
War in der Vereinbarung von 1605 bei der Frage der Gerichtsbarkeit über die Stiftsangehörigen der
Einfachheit halber auf die bisherigen Gepflogenheiten verwiesen worden, wurde dieser Bereich im Vertrag
von 1617 nun ausführlich geregelt. Dem Rat wurde die Iurisdictio criminalis über die Angehörigen des Stifts
zugesprochen. Mit dem Zugeständnis, daß der Rat Personen auch innerhalb des Dombezirks verhaften
durfte, verzichtete das Kapitel auf das seit jeher Kirchen und kirchlichen Instituten zustehende Asyl-
recht353. Die Gerichtsbarkeit in Zivilangelegenheiten sollte in erster Instanz vom Kapitel ausgeübt werden,
im Fall der Appellation eines der Beteiligten von einer aus Mitgliedern des Rats und Chorherren des
Petersstiftes zusammengesetzten Kommission. Kam die Kommission zu keinem einvernehmlichen Urteil
sah der Vertrag die Konsultation einer juristischen Fakultät vor354. Eine Konzession des Kapitels gegenüber
der Stadt war auch die Vereinbarung, die Kleinodien und Ornate des Stifts zu veräußern und dem Rat ein
Viertel des erlösten Geldes zu überlassen.

349 Siehe ebd., S. 84: Der dechant aber wolle sonderlich woll
erweghen unnd betrachten, welcher gestalt [...] er tzu seinem
beneficio erstmals geraten, was sein vater begeret und wie
denn ihm solchs bewilligt.
350 Vgl. Lohse, Dauer der Stiftung, S. 129, Anm. 66, mit
dem Hinweis auf die entsprechenden Prozeßakten.

351 Zu den Reliquien des Stifts vgl. ebd., S. 64-66, 107-112,
129f.
352 Ebd., S. 84.
353 Vgl. Lex. d. MA. 1, Sp. 1156-1158.
354 Zur Konsultation von juristischen Fakultäten vgl. die
Beispiele im „Urkunden-Anhang“ von Ebel, Goslarer
Ratsurteilsbuch, S. 118, 120, 126f. etc.

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