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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0391
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Einleitung

Versammlungen der Zünfte bedurften ebenso wie die der Kirchengemeinden fortan der Genehmigung durch
den Rat. Bei Versammlungen ohne vorherige Bewilligung wurde mit hohen Strafen gedroht. Mit dem
Bürgereid gelobte jeder Bürger Gehorsam gegenüber dem Rat, den Verzicht auf jegliche Form von Aufruhr
und die strikte Einhaltung des Stadtrechts von 1433 und der „Neuen Eintracht“174.
Im gleichen Jahr wie die „Neue Eintracht“, nämlich 1534, wurde die Kirchenordnung eingeführt. Auch
sie kann als Instrument zur Stabilisierung des Ratsregiments verstanden werden. Die Kirchenordnung war
im Auftrag des Rates von den Predigern der Stadt verfaßt worden. In einem Vorwort widmeten die Prediger
ihre Arbeit den Ratsherren und legten ihnen die Ordnung zur Prüfung vor. Kontrolliert werden sollte dabei
vor allem auch die Übereinstimmung der Kirchenordnung mit dem städtischen Recht. Der Rat bestätigte
die Annahme der Kirchenordnung durch ein eigenes Mandat (Nr. 4b).
In der Kirchenordnung wird das Verhältnis von Rat, Predigern und Kirchengemeinden genau fixiert.
Besonders hervorgehoben ist die göttliche Einsetzung der weltlichen Obrigkeit. Dazu werden die einschlä-
gigen Stellen aus der Heiligen Schrift (Röm 13,1-7; 1Petr 2,13-14 etc.) angeführt. Der Stand der weltlichen
Obrigkeit ist eine göttliche Ordnung und nach dem Predigtstand der höchste Gottesdienst. Wie der Rat
dem Evangelium unterworfen ist, so sind die Untertanen durch das Evangelium wiederum der Obrigkeit
unterworfen175. Der Bremer Rat erscheint als Garant der Reformation. Den vier städtischen Kirchenge-
meinden bleibt zwar das Recht der Wahl ihrer Pfarrer, das sie durch die Bauherren und Kirchengeschwo-
renen ausüben; die Prediger müssen aber vom Rat bestätigt werden. Bei den Kirchen auf dem Land ernennt
der Rat die Pfarrer, ohne die Gemeinden einzubeziehen.
Auch die Stellung der Geistlichen gegenüber ihren Gemeinden wird nach den Konflikten zwischen dem
Kollegium der 104 und den Predigern im Jahr 1532 gestärkt. Das geistliche Regiment liegt bei dem von
Christus gestifteten Predigtamt, dem die Gemeinden Gehorsam schulden. Die Prediger üben das geistliche
Regiment durch die ihnen vom Evangelium zugesprochene Binde- und Lösegewalt aus, die im ersten Kapi-
tel der Kirchenordnung ausführlich behandelt wird176.
Die Kirchenordnung von 1534 erscheint zwar als das gemeinsame Werk der Bremer Prediger, die sich in
der Ordnung jeweils mit wy bezeichnen, als ihr eigentlicher Verfasser gilt jedoch der Pfarrer von St. Martini,
Johannes Timann. Timann besaß bereits einschlägige Erfahrungen, war er doch 1529 zusammen mit seinem
Amtskollegen Johannes Pelt177 von Graf Enno II. mit dem Entwurf einer Kirchenordnung für die Graf-
schaft Ostfriesland beauftragt worden178. Für Timanns Verfasserschaft der Bremer Kirchenordnung spre-
chen vor allem das Einfließen von Gedanken aus seiner Schrift „Von christlicher fryheit und mynschenge-
baden“ (in ihr war auch das Thema „Weltliche Obrigkeit und christliche Gemeinde“ breit behandelt wor-
den) und die Übernahme einer Abhandlung über den Galaterbrief aus seiner Schrift „Aliquot capita prae-
cipuae ac verae theologiae ex patribus et scriptura sacra“179 in die Ordnung180. 1538 war Johannes Timann
neben dem Hoyaer Hofprediger Adrian Buxschot dann an der Ausarbeitung der Kirchenordnung für die
Grafschaft Lippe beteiligt181. Die Lippische Kirchenordnung orientiert sich, sowohl was ihre Gliederung als

174 Ebd., S. 203.
175 Vgl. Sprengler-Ruppenthal, Gesammelte Aufsätze,
S. 385.
176Ebd., S. 388f. Vgl. dazu auch die unter Nr. 11 abgedruck-
ten Texte, in denen die Frage der Binde- und Lösegewalt
der Geistlichen eine wichtige Rolle spielt.
177 Zu Johannes Pelt (Pelte) vgl. Bremer Pfarrerbuch 2,
S. 135.
178 Die Kirchenordnung („Ordenunge und articule, so wy,
Enno [...], in unsen landen allen predicanten und under-
danen gebaden hebben“) ist abgedruckt in Sehling,
EKO VII,2,1, S. 360-373. Dem Grafen gelang es jedoch

nicht, die Kirchenordnung in seinem Land durchzusetzen.
Bereits sechs Jahre später erließ Enno II. eine neue, von
den Lüneburger Pfarrern Martin Undermarck und Mat-
thäus Ginderich verfaßte Ordnung. Vgl. Becker,
Gemeindeordnung und Kirchenzucht, S. 107.
179 Die Handschrift befindet sich in der SUUB Bremen, Sign.
Brem. c. 0114.
180 Vgl. Sprengler-Ruppenthal, Gesammelte Aufsätze,
S. 435, 437 und 439.
181 Abdruck der Lippischen Kirchenordnung in Sehling,
EKO XXI, S. 306-343.

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