Testimonia (test. 2)
367
Kontext Eine im Piräus gefundene Inschrift vom Ende des zweiten oder
Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr., in der Bücher aufgelistet sind, die
vielleicht eine Spende von Epheben an die zu ihrem Gymnasien gehörende
Bibliothek darstellten (so Kumanudis; vgl. mit weiterer Literatur Kannicht,
TrGF V.l 58 αί/Eur. test. 7a). Genannt werden in den erhaltenen Abschnitten
besonders Dramen (Tragödien von Sophokles, Euripides und Achaios, Ko-
mödien von Menander und Diphilos), aber auch der Dialog Aischines des
Eukleides von Megara (Z. 10) und eine Rede des Demosthenes (Z. 31-2).
Interpretation ]υκρατητ[ in Zeile 30 wird von Kirchner in IG II2 zu ο]υ
Κράτητ[ος ergänzt; in diesem Fall könnte ου die Endung eines Substantivs
oder Adjektivs im Genitiv, und Κράτητος der Beginn eines neuen Eintrags
mit Krates als Dichternamen sein.605 Ist diese Deutung richtig, dann könnte
πνιάστρια[ in der nächsten Zeile das Ende von einem der Komödientitel dieses
Dichters sein. Die beste bisher vorgeschlagene Ergänzung dieses Titels ist
Ένυπνίαστρια (Koumanoudes 1872, 5. 7-8, unter Hinweis auf Alexis’ Titel
Ύπνος);606 in diesem Fall müsste man (wenn man von einer Zeilenlänge von
605 Allerdings ist die Ergänzung von Krates’ Namen (die zudem voraussetzt, dass o]
u am Zeilenanfang die vollständige letzte Silbe eines Werktitels ist, z.B. in der
Form περί + Gen., κατά + Gen. oder ύπέρ + Gen.) nicht ohne Alternative: Denkbar
wären auch Lösungen wie -ου Κράτητος βίος (über den kynischen Philosophen?;
eine Biographie des Krates ist für Plutarch bezeugt [Julian Or. 7 p. 200b = Plut.
fr. 10 Sandb.], doch könnte diese auch schon auf hellenistischen Vorlagen beruhen),
Ε]ύκράτη τ[ oder Πο/λ]υκρατη τ[ (z.B. Προς Πολυκράτη τον σοφιστήν oder Προς
Πολυκράτη (τον) τύραννον, vgl. Lysias, Ύπέρ Σωκράτους προς Πολυκράτην,
fr. 271-6 Carey; zum Akkusativ Πολυκράτη vgl. z.B. Strab. 14,1,16, Plut. Lys. 8,5;
allerdings ist diese Form des Akkusativs auf-κράτη auf attischen Inschriften nach
dem 5. Jh. v. Chr. kaum noch bezeugt, vgl. Threatte 1980, 173-5). Das stärkste
Argument für eine Ergänzung von Κράτητος als Name eines Komödiendichters
bleibt -πνιάστρια in der folgenden Zeile, was am besten in einen Komödientitel
passt.
606 Der allgemein (so noch in PCG IV 111) Koumanoudes zugeschriebene Vorschlag
Δειπνιάστρια (der zudem in der Wortbildung problematisch ist, vgl. Kock I 141,
und mit einem Versuch, die Form zu rechtfertigen, Schmid 1946, 92 Anm. 5) beruht
offenbar allein auf einem Versehen von Wilamowitz-Moellendorff 1875, 140. Eine
TLG-Suche mit der Buchstabenfolge -πνιαστ- ergab (abgesehen von dem unvoll-
ständigen Titel des Krates) ausschließlich Ergebnisse für ένυπνιάστης (und auch
im rückläufigen Wörterbuch von Kretschmer/Locker ist ένυπνιάζω das einzige
Verb, das auf-πνιάζω endet). Geißler 1925a, 18 Anm. 2 vermutet einen Fehler in der
Inschrift und ergänzt Ποιάστρια oder Ποιάστριαι (mit Hinweis Magnes’ Ποιάστρια
und Phrynichos’ Ποιάστριαι); daran schließt der Vorschlag von Wilamowitz ap.
Geißler a. a. O. an, in Z. 30 Κράτητ[ος ή Φρυνίχου zu lesen und entsprechend zu
367
Kontext Eine im Piräus gefundene Inschrift vom Ende des zweiten oder
Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr., in der Bücher aufgelistet sind, die
vielleicht eine Spende von Epheben an die zu ihrem Gymnasien gehörende
Bibliothek darstellten (so Kumanudis; vgl. mit weiterer Literatur Kannicht,
TrGF V.l 58 αί/Eur. test. 7a). Genannt werden in den erhaltenen Abschnitten
besonders Dramen (Tragödien von Sophokles, Euripides und Achaios, Ko-
mödien von Menander und Diphilos), aber auch der Dialog Aischines des
Eukleides von Megara (Z. 10) und eine Rede des Demosthenes (Z. 31-2).
Interpretation ]υκρατητ[ in Zeile 30 wird von Kirchner in IG II2 zu ο]υ
Κράτητ[ος ergänzt; in diesem Fall könnte ου die Endung eines Substantivs
oder Adjektivs im Genitiv, und Κράτητος der Beginn eines neuen Eintrags
mit Krates als Dichternamen sein.605 Ist diese Deutung richtig, dann könnte
πνιάστρια[ in der nächsten Zeile das Ende von einem der Komödientitel dieses
Dichters sein. Die beste bisher vorgeschlagene Ergänzung dieses Titels ist
Ένυπνίαστρια (Koumanoudes 1872, 5. 7-8, unter Hinweis auf Alexis’ Titel
Ύπνος);606 in diesem Fall müsste man (wenn man von einer Zeilenlänge von
605 Allerdings ist die Ergänzung von Krates’ Namen (die zudem voraussetzt, dass o]
u am Zeilenanfang die vollständige letzte Silbe eines Werktitels ist, z.B. in der
Form περί + Gen., κατά + Gen. oder ύπέρ + Gen.) nicht ohne Alternative: Denkbar
wären auch Lösungen wie -ου Κράτητος βίος (über den kynischen Philosophen?;
eine Biographie des Krates ist für Plutarch bezeugt [Julian Or. 7 p. 200b = Plut.
fr. 10 Sandb.], doch könnte diese auch schon auf hellenistischen Vorlagen beruhen),
Ε]ύκράτη τ[ oder Πο/λ]υκρατη τ[ (z.B. Προς Πολυκράτη τον σοφιστήν oder Προς
Πολυκράτη (τον) τύραννον, vgl. Lysias, Ύπέρ Σωκράτους προς Πολυκράτην,
fr. 271-6 Carey; zum Akkusativ Πολυκράτη vgl. z.B. Strab. 14,1,16, Plut. Lys. 8,5;
allerdings ist diese Form des Akkusativs auf-κράτη auf attischen Inschriften nach
dem 5. Jh. v. Chr. kaum noch bezeugt, vgl. Threatte 1980, 173-5). Das stärkste
Argument für eine Ergänzung von Κράτητος als Name eines Komödiendichters
bleibt -πνιάστρια in der folgenden Zeile, was am besten in einen Komödientitel
passt.
606 Der allgemein (so noch in PCG IV 111) Koumanoudes zugeschriebene Vorschlag
Δειπνιάστρια (der zudem in der Wortbildung problematisch ist, vgl. Kock I 141,
und mit einem Versuch, die Form zu rechtfertigen, Schmid 1946, 92 Anm. 5) beruht
offenbar allein auf einem Versehen von Wilamowitz-Moellendorff 1875, 140. Eine
TLG-Suche mit der Buchstabenfolge -πνιαστ- ergab (abgesehen von dem unvoll-
ständigen Titel des Krates) ausschließlich Ergebnisse für ένυπνιάστης (und auch
im rückläufigen Wörterbuch von Kretschmer/Locker ist ένυπνιάζω das einzige
Verb, das auf-πνιάζω endet). Geißler 1925a, 18 Anm. 2 vermutet einen Fehler in der
Inschrift und ergänzt Ποιάστρια oder Ποιάστριαι (mit Hinweis Magnes’ Ποιάστρια
und Phrynichos’ Ποιάστριαι); daran schließt der Vorschlag von Wilamowitz ap.
Geißler a. a. O. an, in Z. 30 Κράτητ[ος ή Φρυνίχου zu lesen und entsprechend zu