Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0014
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1. Einleitung

13

Ob Europa tatsächlich im Status der Hoffnungslosigkeit befangen ist, weil es sich
in einem Zustand eingerichtet hat, in dem, wie Bruckner meint, Schuld und
Scham von konkreten Ereignissen abgelöst und stattdessen dogmatisch gewor-
den sind6, soll hier dahingestellt bleiben - es wird an späterer Stelle noch einmal
darauf zurückzukommen sein.7 Zunächst sei nur darauf verwiesen, dass auch
Pascal Bruckner seine Kenntnis der Gewissenslehre eines Bernhard von
Clairvaux oder eines Louis Bourdaloue nicht der unmittelbaren Lektüre ver-
dankte, sondern, wie er in den Anmerkungen belegt, einer Arbeit seines Lands-
mannes Vladimir Jankelevitch (f 1985). Jankelevitch, selbst Philosoph, hatte
1933 eine Studie über Das schlechte Gewissen (La Mauvaise Conscience} veröf-
fentlicht. Hier nun findet sich bereits jener Hinweis auf die vier Arten des
Gewissens,8 die zunächst von Bruckner und später dann von Leick wieder auf-
gegriffen wurden.
Diese drei Autoren stehen dabei nur am (gegenwärtigen) Ende einer nun
schon fast 900-jährigen Kette kontinuierlicher Bezugnahmen auf eine Konzep-
tion, die vier korrespondierende Arten des Gewissens benennt. Nicht jedem ih-
rer Glieder lässt sich unmittelbar und eindeutig ein jeweils vorangehendes oder
nachfolgendes zuordnen. Wohl aber wird deutlich, dass dieses Konzept zumin-
dest innerhalb der theologisch-philosophischen Diskurse von konstanter Prä-
senz war und - wie es scheint - in der Moderne auch von Philosophie und poli-
tischer Essayistik noch gewinnbringend herangezogen wird. Es spricht wohl für
seine Zweckmäßigkeit, wenn bis ins 21. Jahrhundert hinein Bezugnahmen weni-
ger aus rhetorischen Gründen erfolgten, sondern vielmehr, weil das Bild jener
vier korrespondierenden Gewissensarten zur Veranschaulichung bestimmter
Aussageinhalte in besonderer Weise geeignet erschien. Wohl haben sich die
Kontexte gewandelt, innerhalb derer auf die genannten quattuor modis conscien-
tiarum zurückgegriffen wurde - das Beschreibungsmodell selbst blieb jedoch
nahezu unverändert. Mit der vorliegenden Arbeit soll der Versuch unternom-
men werden, seine Entstehung zu beleuchten und seinen Spuren zu folgen.

6 Ebd., S. 14.
7 Vgl. unten S. 387f.
8 In der Ausgabe von 1933 findet sich der Hinweis auf Bernhard und Bourdaloue noch nicht
(vgl. S. 107). Er wurde erstmals in der 1951 bei Aubier erschienen 2. Auflage gegeben. Hier hieß
es nun - bei unverändertem Haupttext in einer ergänzten Fußnote (S. 145): „C’est la quatrieme
sorte de conscience selon saint Bernard qui distingue: la bonne tranquille (paradis), la bonne
troublee (purgatoire), la mauvaise troublee (enfer), la mauvaise paisible (desespoir). Cf Bourda-
loue, Sermon pour le 3e dimanche de l’Avent: Sur la fausse conscience.“ Das Zitat wurde
seitdem bei allen folgenden Ausgaben mit abgedruckt. In der Ausgabe von 1998 findet es sich
auf S. 147. Vgl. hierzu unten S. 385f.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften