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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0033
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2. Gegenstand: Das Gewissen

gesetzt werden.64 Die sich bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts aus
den frühscholastischen Schulen heraus formierenden Fraktionen, die Willen oder
Vernunft als je möglichen Träger des habituellen Gewissens erkannten, besaßen
nun ein Instrumentarium, das größere Eindeutigkeit in der Positionierung ver-
sprach.65 Die im 13. Jahrhundert beginnenden intensiven Debatten von Volunta-
risten und Intellektualisten legen hiervon eindrucksvoll Zeugnis ab.66
Hiermit verknüpft wurde auch die Frage nach der Autorität des Gewissens,
mithin die nach der Verbindlichkeit von Gewissensentscheidungen - auch dies
eine Diskussion, die hier nur angesprochen, nicht aber dargestellt werden soll.
Verbunden war diese Problemstellung mit jener nach den Kriterien, die eine
Handlung ethisch qualifizieren - ein Zusammenhang, der sich nicht zuletzt aus
dem in Rm 14.23 formulierten Diktum ergab, wonach alles, was nicht im Glau-
ben gründe, Sünde sei. Insofern die hier angesprochene fides zunehmend mit der
conscientia identifiziert wurde,67 erfuhr das Gewissen nicht nur eine Aufwertung,
sondern alles, was geschah, war nun hinsichtlich des jeweiligen Beweggrundes zu
beurteilen - eben ob dieser als fides respektive conscientia zu erkennen sei. Unter
Innozenz III. erfuhr dieses Postulat einer Gewissensfreiheit schließlich sogar
seine kirchenrechtliche Bestätigung.68
Diese Frage wird in erster Linie mit den Schriften Abelards assoziiert und
unter Berufung auf ihn diskutiert;69 dabei ist er wohl vor allem derjenige, dem das
Problem seine pointierte Formulierung verdankt: „Non est peccatum nisi contra
conscientiam.“70 Dieser Gedanke, wonach die einer Handlung zugrundeliegende
Absicht entscheidend für ihre moralische Bewertung ist, findet sich bereits in der
Spätantike, so bei Gregor dem Grossen (f 604), der bemerkte, dass der Mensch
64 Bereits an der Wende vom 11. zum 12. Jh. wurde innerhalb der Schule von Laon ein Vermögen
des Menschen angenommen, natürlicherweise das Gute zu wollen - vgl. hierzu M. Perkams,
Synderesis, v. a. S. 25-8.
65 Vgl. M. Perkams, Synderesis; J. Müller, Zwischen Vernunft und 'Willen-, J. Stelzenberger,
Syneidesis, Conscientia, Gewissen, hier § 6: Synteresis und conscientia. Intellekt oder Wille als
Träger, S. 81-99.
66 Vgl. hierzu v. a. J. Müller, Zwischen Vernunft und Willen, sowie im Überblick: F. Krüger,
„ Gewissen III“, S. 22 Of.
67 Vgl. oben S. 26, Anm. 32. Zum Problem vgl. auch J. Stelzenberger, Syneidesis, Conscientia,
Gewissen, § 7. Später findet sich diese Sicht auch bei Martin Luther oder dem hier noch näher
vorzustellenden Jesuiten Franz Xaver Brean, vgl. unten S. 355.
68 Vgl. M.-D. Chenu, L’eveil de la conscience, S. 29.
69 Vgl. bereits J. Le Goff, Zeit der Kirche, S. 405.
70 Allerdings ist nicht sicher, ob diese Formulierung tatsächlich auf Abelard zurückgeht oder
„eine tendenziöse Zusammenfassung aus dem Lager seiner Gegner ist“. So U. Störmer-Caysa,
Gewissen und Buch, S. 64, Anm. 20, mit Verweis auf den nicht eindeutigen handschriftlichen
Befund. Vgl. Abelard, Scito te ipsum, ed. R. M. Ilgner, cap. 36f., 45, S. 222-6, 242 und
Abelard, Expositio in epistolam ad Romanos, ad 14.23, Bd. 3, S. 814.
 
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