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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0043
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2. Gegenstand: Das Gewissen

bringt hier eine außerordentliche Zahl einschlägiger Veröffentlichungen zu-
tage.108 Das Gewissen bewegte offensichtlich, und das Reden respektive Schrei-
ben über das Gewissen brachte dieses Interesse deutlich zum Ausdruck.
Unter den vielen, insbesondere in den systematisch angelegten Publikationen
gestellten Fragen war stets auch jene nach der Anzahl von Möglichkeiten, das
Gewissen - sei es als synderesis, sei es als conscientia - zu erfassen: Quotuplex sit?
Die Antworten hierauf fielen erwartungsgemäß verschieden aus und waren nicht
zuletzt vom jeweils spezifischen Erkenntnisinteresse des Autors oder der Erklä-
rungsabsicht des Textes bestimmt und geprägt. Das hier im Zentrum stehende
Motiv der vier in Kreuzklassifikation miteinander verbundenen Arten des Ge-
wissens ist unter den gefundenen Systematisierungen ein frühes, aber keineswegs
das einzige Schema.
Zu seiner Akzentuierung seien an dieser Stelle - ohne jeden Anspruch auf
Vollständigkeit - einige weitere Modelle kurz vorgestellt, die den Möglichkeits-
kosmos einer Einteilung von Gewissensformen und -qualitäten aufzeigen sollen.
Dabei wird die bereits erwähnte analytische Differenzierung, mit der seit dem
12. Jahrhundert eine die Disposition des Menschen prägende Gewissensanlage
{synderesis} auf der einen Seite von konkreten Gewissensakten {conscientia} auf
der anderen unterschieden wurde, nicht berücksichtigt.
Vor dem Hintergrund je verschiedener Kontexte und unter Berücksichtigung
großer zeitlicher Spannen der Entstehung der im Folgenden kurz vorzustellen-
den Systematisierungen scheint es auf den ersten Blick weder angemessen noch
hilfreich, diese selbst wieder zu ordnen. Insofern im Zentrum dieser Arbeit aber
ein Motiv steht, dessen wesentliches Charakteristikum gerade seine Geschlossen-
heit ist, die es von anderen Ordnungsmodellen abhebt, soll eben diese Geschlos-
senheit hier als Differenzierungsmerkmal genutzt werden. Die den vier Gewis-
sensarten zugrundeliegende binäre Struktur - es handelt sich um je paarweise
zugeordnete Qualitäten - wird daher als eine Möglichkeit der Konzeptionalisie-
rung präsentiert.
Wie zum Teil bereits die Titel der einschlägigen Texte nahelegen, werden in
ihnen vier Gewissensarten systematisch voneinander geschieden, wobei zwei
Haupteigenschaften kombiniert sind und in ihrer Kombination den Charakter
der conscientia bestimmen: gut und schlecht sowie ruhig und unruhig. Ein sol-
ches auf Binarismen basierendes Reden über conscientia findet sich häufig. Neben
den genannten Eigenschaften begegnen rein und unrein, sicher und unsicher,
vorangehend und nachfolgend - die Aufzählung ließe sich ergänzen. Die Quali-
täten eines Gewissens werden in ihrer je typischen Ausprägung somit als Oppo-

108 Vgl. die Angaben unten S. 290, Anm. 265f.
 
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