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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0076
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3.5 De quattuor modis conscientiarum

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des Traktats Von den vier Arten der Gewissen,68 doch wird dort nicht auf Prv.
18.17 Bezug genommen. Die Betonung guter Werke - im Text ist ausdrücklich
von Werkgerechtigkeit („iustitia operis“) die Rede - ist hingegen ein Alleinstel-
lungsmerkmal der Pariser Sentenz. Analog zur Beichte als Weg Christi zum
Menschen werden die Werke als Wege des Menschen zu Christus beschreiben.
Ein vergleichbarer Zusammenhang von innerer Reinheit, wie sie durch die
Beichte erzeugt wird, und guten Werken findet sich ebenfalls in einer Bernhard
von Clairvaux zugeschriebenen Sentenz, wo „iustitia operis“ und„puritas cor-
dis“ als jene beiden Strategien beschrieben werden, die dem Menschen himli-
schen Lohn sichern.69
3.5 De quattuor modis conscientiarum
Neben den bisher vorgestellten Texten - der Pariser Sentenz, den innerhalb der
Miscellanea Hugonis überlieferten Sententiae sowie den beiden, dem weiteren
Umfeld des bernhardischen Predigens zuzurechnenden Werksplittern - fällt das
sechste jener primären Zeugnisse für die Vorstellung von einem vierfachen Ge-
wissen bereits durch seinen deutlich größeren Umfang auf: der Traktat De quat-
tuor modis conscientiarum. Wohl annähernd zeitgleich entstanden, entwarf auch
dieser als Brief konzipierte Text eine Klassifikation, die geeignet war, durch At-
tribuierung der Qualitäten von gut und schlecht sowie ruhig und unruhig jeden
Zustand des Gewissens zu beschreiben. Das aus den deutlich kürzeren Sentenzen
und der Predigt bekannte Motiv erfuhr dabei zugleich eine Rahmung, die Auf-
schluss über das kulturelle Milieu gibt, in dem alle hier vorgestellten Texte der
primären Phase des Viererschemas zu verorten sind: die religiöse Lebensform der
Nonnen, Mönche und Kanoniker, die „im Verlangen nach Heiligung ihrer Seele
den Abschied von der äußeren Welt in Kauf genommen und sich unter Verzicht
auf eigene Willkürlichkeit gehorsam den rigiden Regeln eines gemeinschaftlichen
Lebens im Kloster unterworfen“ hatten.70 Es war eine Lebensform, die sich die
Erforschung und Prüfung des Gewissens zur Gewohnheit gemacht hatte; eine
Lebensform, in der nicht nur Techniken entwickelt wurden, die eine methodisch-
rationale Selbstprüfung unterstützten, sondern in der man auch Texte verfasste,
die dazu anleiten sollten.
68 Zur spezifischen Funktionalität der Beichte für die Gewissensreinigung vgl. unten im Kapi-
tel 4.5 b).
69 „Duo autem sunt quae remunerantur: iustitia operis, et puritas cordis.“ Bernhard von Clair-
vaux, II Sent 42, in: Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 320.
70 G. Melville, Im Spannungsfeld, S. 74.
 
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