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4. Der Traktat De quattuor modis conscientiarum
Zeit nahelegen, in die auch der einzige Überlieferungsträger zu datieren ist: das
14. Jahrhundert.48
Die Differenz beider Fassungen wird neben zahlreichen kleineren Unterschie-
den im Wesentlichen durch das Fehlen oder eben die Präsenz von Kapitel III.9
indiziert. Ich betrachte L hier als eine eigene Textfassung, weil es sich bei besag-
tem Abschnitt III.9 („Cogitationum multiplex varietas esse cognoscitur...“) of-
fensichtlich nicht um die Insertion eines bekannten Textbausteines handelt, wie
dies bei den nachfolgend zu besprechenden Ergänzungen der Fall ist. Stattdessen
erfuhr der Trakat in der Handschrift aus Charleville (CA) eine inhaltliche Erwei-
terung, die nach jetzigem Kenntnisstand die eigenständige Leistung eines unbe-
kannten Schreibers (oder Denkers) darstellt. Dieser Abschnitt ist erkennbar
schlichter im Stil gehalten und weist zudem nur ein einziges Bibelzitat auf, was in
Anbetracht der Dichte entsprechender Bezüge im sonstigen Text für einen ande-
ren Verfasser als den eigentlichen Briefschreiber spricht.49
Ungeachtet des Umstandes, dass L nur in einer einzigen bekannten Hand-
schrift (CA) überliefert und damit in keiner Weise repräsentativ für den Traktat
ist, wurde diese Fassung jedoch fast exklusiv als Referenz gewählt, wenn auf den
Text zu verweisen war, und sie wird es noch heutigentags. Dies ist wesentlich
dem Umstand geschuldet, dass L deutlich eher im Druck erschien. Später, nach
Veröffentlichung von K durch Bernhard Pez, mag neben der Tradition auch der
Umstand der Attribuierung an Bernhard dazu beigetragen haben, L mehr Auf-
merksamkeit zu sichern als der anonymen Fassung K.50
Dieses ist anhand von Bezügen auf das besagte Kapitel III.9 leicht festzustel-
len, wie das Beispiel der durch den Benediktiner Allart Gazet (f 1626) im Jahr
1616 besorgten Ausgabe der Werke des Johannes Cassian demonstriert. Hier
gab er nämlich als Anmerkung zum Kapitel über die Frage nach dem Vermögen
des Geistes, sich von Störungen der Gedanken freizuhalten, einen Hinweis auf
ebenjenes Kapitel III.9 innerhalb unseres Gewissenstraktats.51 Weitere Autoren,
48 Vgl. zu den inhaltlichen Aspekten, die eine spätere Entstehung nahelegen, unten im Kapitel
4.5 b).
49 Vgl. zu diesem Abschnitt auch unten S. 172.
50 Vgl. hierzu unten im Kapitel 4.3 b).
51 „Mentem non interpellari cogitationibus impossibile est] De multiplici varietate cogitationum,
quibus mens nostra interpellatur. Vide si lubet D. Bernardum in libro de conscientia cap. 5.“
loannis Cassiani Opera omnia, ed. A. Gazet (1616), Bd. 2.1, S. 57. In der 1628 posthum erschie-
nenen Ausgabe folgt auf diese Anmerkungen dann sogar noch der entsprechende Auszug: „Co-
gitationum multiplex varietas esse cognoscitur. Alia: namque cor inflant, aliac elevant, alicc per-
turbant, alie dißipant, alias confundunt, aliac distendunt, aliac ligant, aliac inquinant, aliac
contrahunt, alias corrumpunt. Inflant ut superbe, elevant ut vana:, perturbant ut invida:, dißi-
pant ut iracunda:, confundunt ut acediosa:, distendunt ut ambitiöse, ligant ut gulos^, inquinant
4. Der Traktat De quattuor modis conscientiarum
Zeit nahelegen, in die auch der einzige Überlieferungsträger zu datieren ist: das
14. Jahrhundert.48
Die Differenz beider Fassungen wird neben zahlreichen kleineren Unterschie-
den im Wesentlichen durch das Fehlen oder eben die Präsenz von Kapitel III.9
indiziert. Ich betrachte L hier als eine eigene Textfassung, weil es sich bei besag-
tem Abschnitt III.9 („Cogitationum multiplex varietas esse cognoscitur...“) of-
fensichtlich nicht um die Insertion eines bekannten Textbausteines handelt, wie
dies bei den nachfolgend zu besprechenden Ergänzungen der Fall ist. Stattdessen
erfuhr der Trakat in der Handschrift aus Charleville (CA) eine inhaltliche Erwei-
terung, die nach jetzigem Kenntnisstand die eigenständige Leistung eines unbe-
kannten Schreibers (oder Denkers) darstellt. Dieser Abschnitt ist erkennbar
schlichter im Stil gehalten und weist zudem nur ein einziges Bibelzitat auf, was in
Anbetracht der Dichte entsprechender Bezüge im sonstigen Text für einen ande-
ren Verfasser als den eigentlichen Briefschreiber spricht.49
Ungeachtet des Umstandes, dass L nur in einer einzigen bekannten Hand-
schrift (CA) überliefert und damit in keiner Weise repräsentativ für den Traktat
ist, wurde diese Fassung jedoch fast exklusiv als Referenz gewählt, wenn auf den
Text zu verweisen war, und sie wird es noch heutigentags. Dies ist wesentlich
dem Umstand geschuldet, dass L deutlich eher im Druck erschien. Später, nach
Veröffentlichung von K durch Bernhard Pez, mag neben der Tradition auch der
Umstand der Attribuierung an Bernhard dazu beigetragen haben, L mehr Auf-
merksamkeit zu sichern als der anonymen Fassung K.50
Dieses ist anhand von Bezügen auf das besagte Kapitel III.9 leicht festzustel-
len, wie das Beispiel der durch den Benediktiner Allart Gazet (f 1626) im Jahr
1616 besorgten Ausgabe der Werke des Johannes Cassian demonstriert. Hier
gab er nämlich als Anmerkung zum Kapitel über die Frage nach dem Vermögen
des Geistes, sich von Störungen der Gedanken freizuhalten, einen Hinweis auf
ebenjenes Kapitel III.9 innerhalb unseres Gewissenstraktats.51 Weitere Autoren,
48 Vgl. zu den inhaltlichen Aspekten, die eine spätere Entstehung nahelegen, unten im Kapitel
4.5 b).
49 Vgl. zu diesem Abschnitt auch unten S. 172.
50 Vgl. hierzu unten im Kapitel 4.3 b).
51 „Mentem non interpellari cogitationibus impossibile est] De multiplici varietate cogitationum,
quibus mens nostra interpellatur. Vide si lubet D. Bernardum in libro de conscientia cap. 5.“
loannis Cassiani Opera omnia, ed. A. Gazet (1616), Bd. 2.1, S. 57. In der 1628 posthum erschie-
nenen Ausgabe folgt auf diese Anmerkungen dann sogar noch der entsprechende Auszug: „Co-
gitationum multiplex varietas esse cognoscitur. Alia: namque cor inflant, aliac elevant, alicc per-
turbant, alie dißipant, alias confundunt, aliac distendunt, aliac ligant, aliac inquinant, aliac
contrahunt, alias corrumpunt. Inflant ut superbe, elevant ut vana:, perturbant ut invida:, dißi-
pant ut iracunda:, confundunt ut acediosa:, distendunt ut ambitiöse, ligant ut gulos^, inquinant