232
6. Rezeptionen und Wirkungen
(f 1899)25 als denjenigen des Traktats aus. (Von ihm stammen auch weitere Überset-
zungen ,bernhardischer‘ Texte inner- wie außerhalb dieser Ausgabe.26)
Wieso aber wurde überhaupt wieder ein solch monumentales Unternehmen wie
die Übersetzung der Opera omnia Bernhards von Clairvaux unternommen, und
überdies zweimal fast zeitgleich? Ohne Frage erlebte Bernhard in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Konjunktur.27 Es war jedoch nicht nur ein aus der
Romantik erwachsenes Interesse am Mittelalter und seinen Protagonisten, das in
den Übersetzungen Ausdruck fand. Sie sind wohl zugleich auch Stellungnahmen
des französischen Katholizismus unter Napoleon III. (f 1873). Das wechselhafte
und spannungsvolle Verhältnis des französischen Kaiserreichs zum Papsttum und
seinem Bemühen um eine Wiedererrichtung des Kirchenstaates nach dessen Erobe-
rung im Zuge der Bewegungen des Risorgimento verstärkte ultramontane Bestre-
bungen im französischen Klerus.28 Diese wurden von päpstlicher Seite unterstützt,
um auf diese Weise die Traditionen des Gallikanismus der französischen Kirche
zugunsten einer wieder klaren Rombindung zurückzudrängen. Zugleich kam es in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich zu einem Aufschwung inner-
halb der religiösen Kommunitäten, der ganz unmittelbaren Niederschlag auch im
Schulwesen fand.29 Für diese restaurativen und dezidiert antiaufklärerischen Bemü-
hungen konnte eine Ausgabe des von Bossuet (f 1704) zum „protecteur de la cou-
ronne“ ausgerufenen Bernhard nur hilfreich sein.30
6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen
Ähnlich wie Augustinus galt Bernhard von Clairvaux als unbestrittene
Autorität in Fragen der menschlichen Psyche und ihren beständigen
Herausforderungen; Herausforderungen, die sich in Anbetracht der Unvollkom-
25 Eigentlich: Auguste Dupont. Zu ihm vgl. die Angaben in J. Brun-Durand, Dictionnaire Bio-
graphique, Bd. 2, S. 417f. (Addenda zu Bd. 1).
26 So erschien ebenfalls 1865 bei Charles Douniol in Paris eine Übersetzung des Tractatus de Pas-
sione Domini. Dieser Band ist als BB 2371 unter 1864 gelistet, was jedoch nicht mit dem Im-
pressum des von mir konsultierten Exemplars übereinstimmt.
27 Vgl. M. Pacaut, Saint Bernard', A. H. Bredero, Bernhard von Clairvaux, S. 155-60.
28 Zu den intellektuellen Strömungen der Zeit im französischsprachigen Raum vgl. die entspre-
chenden Beiträge in: E. Coreth / W. M. Neidl / G. Pfligersdorfer (Hgg.), Christliche Phi-
losophie, Bd. 1, S. 422-584. Zum Einfluss des Klerus auf die französische Geschichtsschreibung
vgl. Ch.-O. Carbonelle, Histoire et Historiens, S. 215-25.
29 Vgl. Fr. Caron, Frankreich im Zeitalter des Imperialismus, S. 105, 107; K.-E. Lönne, Politi-
scher Katholizismus, S. 141; R. Aubert, Die scheinbaren Erfolge, S. 522f.
30 Zum „protecteur de la couronne“ vgl. V. Mellinghoff-Bourgerie, Franpois de Sales, S. 119,
Dies., Bernhard von Clairvaux, S. 389f.
6. Rezeptionen und Wirkungen
(f 1899)25 als denjenigen des Traktats aus. (Von ihm stammen auch weitere Überset-
zungen ,bernhardischer‘ Texte inner- wie außerhalb dieser Ausgabe.26)
Wieso aber wurde überhaupt wieder ein solch monumentales Unternehmen wie
die Übersetzung der Opera omnia Bernhards von Clairvaux unternommen, und
überdies zweimal fast zeitgleich? Ohne Frage erlebte Bernhard in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Konjunktur.27 Es war jedoch nicht nur ein aus der
Romantik erwachsenes Interesse am Mittelalter und seinen Protagonisten, das in
den Übersetzungen Ausdruck fand. Sie sind wohl zugleich auch Stellungnahmen
des französischen Katholizismus unter Napoleon III. (f 1873). Das wechselhafte
und spannungsvolle Verhältnis des französischen Kaiserreichs zum Papsttum und
seinem Bemühen um eine Wiedererrichtung des Kirchenstaates nach dessen Erobe-
rung im Zuge der Bewegungen des Risorgimento verstärkte ultramontane Bestre-
bungen im französischen Klerus.28 Diese wurden von päpstlicher Seite unterstützt,
um auf diese Weise die Traditionen des Gallikanismus der französischen Kirche
zugunsten einer wieder klaren Rombindung zurückzudrängen. Zugleich kam es in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich zu einem Aufschwung inner-
halb der religiösen Kommunitäten, der ganz unmittelbaren Niederschlag auch im
Schulwesen fand.29 Für diese restaurativen und dezidiert antiaufklärerischen Bemü-
hungen konnte eine Ausgabe des von Bossuet (f 1704) zum „protecteur de la cou-
ronne“ ausgerufenen Bernhard nur hilfreich sein.30
6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen
Ähnlich wie Augustinus galt Bernhard von Clairvaux als unbestrittene
Autorität in Fragen der menschlichen Psyche und ihren beständigen
Herausforderungen; Herausforderungen, die sich in Anbetracht der Unvollkom-
25 Eigentlich: Auguste Dupont. Zu ihm vgl. die Angaben in J. Brun-Durand, Dictionnaire Bio-
graphique, Bd. 2, S. 417f. (Addenda zu Bd. 1).
26 So erschien ebenfalls 1865 bei Charles Douniol in Paris eine Übersetzung des Tractatus de Pas-
sione Domini. Dieser Band ist als BB 2371 unter 1864 gelistet, was jedoch nicht mit dem Im-
pressum des von mir konsultierten Exemplars übereinstimmt.
27 Vgl. M. Pacaut, Saint Bernard', A. H. Bredero, Bernhard von Clairvaux, S. 155-60.
28 Zu den intellektuellen Strömungen der Zeit im französischsprachigen Raum vgl. die entspre-
chenden Beiträge in: E. Coreth / W. M. Neidl / G. Pfligersdorfer (Hgg.), Christliche Phi-
losophie, Bd. 1, S. 422-584. Zum Einfluss des Klerus auf die französische Geschichtsschreibung
vgl. Ch.-O. Carbonelle, Histoire et Historiens, S. 215-25.
29 Vgl. Fr. Caron, Frankreich im Zeitalter des Imperialismus, S. 105, 107; K.-E. Lönne, Politi-
scher Katholizismus, S. 141; R. Aubert, Die scheinbaren Erfolge, S. 522f.
30 Zum „protecteur de la couronne“ vgl. V. Mellinghoff-Bourgerie, Franpois de Sales, S. 119,
Dies., Bernhard von Clairvaux, S. 389f.