276 6. Rezeptionen und Wirkungen
beste conscientia jene sei, mit welcher der Mensch sich selbst erkenne. Denn
wer sich selbst nicht kenne, der kenne gleichsam nichts.198 Auf die thematisch
passende Identifikation der conscientia optima als conscientia bona et tranquilla
verzichtete er hingegen.
Überblickt man die Bezugnahmen des Franziskaners auf das Motiv vom vier-
fachen Gewissen, wird zunächst deutlich, dass er zwar auf drei von dessen Glie-
dern rekurrierte, der Gesamtheit aber keinerlei Beachtung schenkte. Sein Bezugs-
text war augenscheinlich die Predigt Vom vierfachen Gewissen - wahrscheinlich
vermittelt durch die Flores Bernardi in diesem Fall aber in einer Handschrift,
die den Text als Liber de conscientia auswies. Die Frage, warum Pelbärt für das
bestmögliche Gewissen darauf verzichtete, das „gute und ruhige“ Gewissen als
dessen Ausdrucksform zu benennen, muss unbeantwortet bleiben.
c) 16. Jahrhundert
Die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hauptsächlich im Norden und der
Mitte Europas stattgefundenen reformatorischen Umbrüche und die anschlie-
ßende Enstehung einer neuen konfessionellen Verschiedenheit waren in beson-
derer Weise auch mit Fragen der moralischen Fundierung menschlicher Urteile
und Handlungen verbunden. Luthers Berufung auf sein Gewissen vor dem
Wormser Reichstag199 markiert hier nur einen, wenn auch emblematischen Hö-
hepunkt. Fragen nach den Implikationen des ,Gewissens* gewannen eine neue
Virulenz, wobei Tradition und Innovation sich in vielfältiger Weise überlagern:200
Manche Entwicklung war erst im Ergebnis der gewandelten Bedingungen mög-
lich, vieles aber blieb auch Aufgriff der Tradition.201
Die Diskussionen entzündeten sich vor allem an der Frage der,Gewissensfrei-
heit*202 - einem unter Berufung auf Rm 14.23 bereits seit dem Beginn des 13. Jahr-
198 „Sed qualis sit huiusmodi conscientia? Bernardus et Hugo recolligendo dicunt. Multe sunt in-
quiunt conscientie hominum, sed nulla melior quam qua homo cognoscit seipsum. Multi multa
sciunt et seipsos nesciunt, sed qui seipsum nescit, nil bene noscit [..Pelbärt von Temesvär,
Sermo IV, adv. III = Sermo XV.
199 Vgl. L. Roper, Der Mensch Martin Luther, S. 237-9 sowie A. Kohnle, Martin Luther, mit
Verweis auf weitere Literatur.
200 Zum Verhältnis von Tradition und Innovation bei der Bewertung von Spätmittelalter und Re-
formation vgl. V. Leppin, Die Wittenberger Reformation, v. a. S. 6-17.
201 Für Adrian von Utrecht, Erasmus und Thomas Morus vgl. R. B. Hein, „Gewissen“ bei
Adrian von Utrecht. Für die lutherische Predigt S. Holtz, Theologie und Alltag, S. 363-70. Zu
den beginnenden Konflikten innerhalb des katholischen Lagers v. a. um den ,Molinismusc vgl.
M. Kaufmann / A. Aichele, A Companion to Luis de Molina.
202 Vgl. hierzu mit verschiedenen Perspektiven den von H. R. Guggisberg / Fr. Lestringant /
J.-Cl. Margolin herausgegebenen Sammelband „La liberte de conscience“.
beste conscientia jene sei, mit welcher der Mensch sich selbst erkenne. Denn
wer sich selbst nicht kenne, der kenne gleichsam nichts.198 Auf die thematisch
passende Identifikation der conscientia optima als conscientia bona et tranquilla
verzichtete er hingegen.
Überblickt man die Bezugnahmen des Franziskaners auf das Motiv vom vier-
fachen Gewissen, wird zunächst deutlich, dass er zwar auf drei von dessen Glie-
dern rekurrierte, der Gesamtheit aber keinerlei Beachtung schenkte. Sein Bezugs-
text war augenscheinlich die Predigt Vom vierfachen Gewissen - wahrscheinlich
vermittelt durch die Flores Bernardi in diesem Fall aber in einer Handschrift,
die den Text als Liber de conscientia auswies. Die Frage, warum Pelbärt für das
bestmögliche Gewissen darauf verzichtete, das „gute und ruhige“ Gewissen als
dessen Ausdrucksform zu benennen, muss unbeantwortet bleiben.
c) 16. Jahrhundert
Die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hauptsächlich im Norden und der
Mitte Europas stattgefundenen reformatorischen Umbrüche und die anschlie-
ßende Enstehung einer neuen konfessionellen Verschiedenheit waren in beson-
derer Weise auch mit Fragen der moralischen Fundierung menschlicher Urteile
und Handlungen verbunden. Luthers Berufung auf sein Gewissen vor dem
Wormser Reichstag199 markiert hier nur einen, wenn auch emblematischen Hö-
hepunkt. Fragen nach den Implikationen des ,Gewissens* gewannen eine neue
Virulenz, wobei Tradition und Innovation sich in vielfältiger Weise überlagern:200
Manche Entwicklung war erst im Ergebnis der gewandelten Bedingungen mög-
lich, vieles aber blieb auch Aufgriff der Tradition.201
Die Diskussionen entzündeten sich vor allem an der Frage der,Gewissensfrei-
heit*202 - einem unter Berufung auf Rm 14.23 bereits seit dem Beginn des 13. Jahr-
198 „Sed qualis sit huiusmodi conscientia? Bernardus et Hugo recolligendo dicunt. Multe sunt in-
quiunt conscientie hominum, sed nulla melior quam qua homo cognoscit seipsum. Multi multa
sciunt et seipsos nesciunt, sed qui seipsum nescit, nil bene noscit [..Pelbärt von Temesvär,
Sermo IV, adv. III = Sermo XV.
199 Vgl. L. Roper, Der Mensch Martin Luther, S. 237-9 sowie A. Kohnle, Martin Luther, mit
Verweis auf weitere Literatur.
200 Zum Verhältnis von Tradition und Innovation bei der Bewertung von Spätmittelalter und Re-
formation vgl. V. Leppin, Die Wittenberger Reformation, v. a. S. 6-17.
201 Für Adrian von Utrecht, Erasmus und Thomas Morus vgl. R. B. Hein, „Gewissen“ bei
Adrian von Utrecht. Für die lutherische Predigt S. Holtz, Theologie und Alltag, S. 363-70. Zu
den beginnenden Konflikten innerhalb des katholischen Lagers v. a. um den ,Molinismusc vgl.
M. Kaufmann / A. Aichele, A Companion to Luis de Molina.
202 Vgl. hierzu mit verschiedenen Perspektiven den von H. R. Guggisberg / Fr. Lestringant /
J.-Cl. Margolin herausgegebenen Sammelband „La liberte de conscience“.