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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0340
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

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und beunruhiget wird, ist gleichsam ein Fegefeuer in diesem Leben, dessen sich Gott
bisweilen bedienet, die heiligsten Seelen zu reinigen. Ein böses Gewissen ist bey der
Unruhe und Verwirrung, die aus der Betrachtung seiner Laster in ihm entstehen, eine
Art von der Hölle. Allein, setzet er hinzu, es giebt noch etwas schlimmeres, als diese
Hölle. Und was ist denn dieses? Ein böses Gewissen bey dem Frieden und der Ruhe.
Und dieses ist es, worauf endlich ein böses Gewissen hinausläuft.“480
Soweit Bourdaloues Wiedergabe des Konzepts vom vierfachen Gewissen in
knapper Form. Bei seinem Referenztext handelt es sich wohl um den Traktat Von
den vier Arten der Gewissen, insofern der Jesuit das schlechte und ruhige Gewis-
sen als in höchstem Maße schlechte Form der conscientia identifiziert. Im Unter-
schied zum Text seiner Vorlage wird in seiner Predigt eben dieses allerverkom-
menste Gewissen nicht mehr durch die Hölle symbolisiert, sondern es bleibt
gleichsam ortlos. Diese Enträumlichung wurde später von anderen Autoren wie-
der aufgegriffen,481 aber auch als Hoffnungslosigkeit qualifiziert482 - eine Bestim-
mung, die auch bei Bourdaloue bereits mitschwingt, hier aber noch nicht ver-
balisiert ist:
„Denn bey einem lasterhaften Gewissen, welches aber von der Betrachtung seiner
Sünden beunruhiget wird, ist doch wenigstens noch einiges Licht, was für ein Bild
es uns von der Hölle auch immer vorstellen mag; und folglich ist bey demselben
wenigstens noch einige Reue, Zerknirschung, und Bekehrung zu hoffen. Der Sün-
der empöret sich zwar wider Gott; wenigstens aber weis er es doch, daß er sich
empöret, und wenigstens empfindet er doch das Unglück und die Strafe für seine
Empörung. Seine Leidenschaft beherrschet ihn, und macht ihn zu einem Sclaven der
Bosheit und Ungerechtigkeit; wenigstens aber hindert sie ihn doch nicht, seine
Pflichten einzusehen, und sich der Wahrheit zu unterwerfen. Stellet euch einmal
einen Weltmenschen vor, der bey seiner Frechheit die größten Ausschweifungen
begehet. So lange er noch ein richtiges Gewissen hat, ist er noch nicht ganz von dem
Wege Gottes abgewichen, weil er, seiner Ausschweifungen ungeachtet, noch ein-

480 L. Bourdaloue, Adventspredigten, 4. Predigt, S. 156f. „11 distingue quatre sortes de conscien-
ces: la bonne tranquille et paisible, la bonne genee et troublee; la mauvaise dans l’agitation et dans
le trouble; la mauvaise dans le calme et la paix: et lä-dessus ecoutez comment il raisonne. Une
bonne conscience tranquille et paisible, c’est, dit-il, sans contestation, un paradis anticipe; une
bonne conscience genee et troublee, c’est comme un purgatoire dans cette vie dont Dieu se sert
quelquefois pour eprouver les ames les plus saintes; une mauvaise conscience dans l’agitation et
dans le trouble que lui causa la vue de ses crimes, c’est une espece d’enfer. Mais il y a encore,
ajoute, t-il, quelque chose de pire que cet enfer: et quoi-une mauvaise conscience dans la paix et
dans le calme, et c’est oü la fausse conscience aboutit.“ Ders., Sermonpour le troisieme dimanche
de l’avent, S. 176.
481 So bspw. von Konrad Martin, vgl. unten S. 379.
482 So von Vl. Jankelevitch und P. Bruckner, vgl. oben S. 12, Anm. 5 und S. 13, Anm. 8.
 
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