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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0386
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

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liegen.687 Unter dem Schlagwort der ,Entdeckung des Individuums* wurden
Prozesse in den Blick genommen,688 die wesentliche Impulse auch für eine neue
Beschäftigung mit dem Gewissen gaben.689
Von wenigen Ausnahmen abgesehen blieben jene Texte, die in besonders ein-
drücklicher Weise vom Ringen um das gute Gewissen im 12. Jahrhundert Zeugnis
ablegten, dabei jedoch auch weiterhin unbeachtet.690 So kann es auch kaum wun-
der nehmen, wenn die eingangs dieser Arbeit bereits vorgestellten Rekurse des 20.
und 21. Jahrhunderts auf das Motiv der vier Gewissensarten ihre Referenzen ganz
offensichtlich nicht in den spärlichen Bezugnahmen der je zeitgenössischen For-
schung fanden, sondern sie sich vielmehr in jene Traditionskette einklinkten, die
hier im Durchgang der Jahrhunderte vorgestellt wurde,691 und die in der Mitte des
19. Jahrhunderts de facto bereits zum Erliegen gekommen waren.
Dieser Neubeginn ist untrennbar mit dem Namen Vladimir Jankelevitchs
verbunden. Wie Jankelevitch auf das Motiv der vier Gewissensarten gestoßen
war, lässt sich seinen Ausführungen selbst nicht entnehmen. Doch ist es wahr-
scheinlich, dass er den Fund im Zuge kontinuierlicher Überarbeitungen einer
seiner beiden bereits 1933 erschienenen Dissertationsschriften (L’Odyssee de la
conscience dans la derniere philosophie de Schelling und La mauvaise conscience)
gemacht hatte692 - jener nämlich, die ausdrücklich vom schlechten Gewissen han-
delte. In der 1951 veröffentlichten zweiten Auflage - 1939 war bereits ein
Nachdruck erschienen - hatte Jankelevitch ein Zitat Louis Bourdaloues auf-
genommen, das dessen oben bereits diskutierter Predigt vom „falschen Gewis-
sen“ entstammte, und in dem der Jesuit ,Bernhard‘ und das Ordnungsschema
der vier Gewissensarten herangezogen hatte.
687 Vgl. S. R. Kramer / C. W. Bynum, Revisiting the Twelfth-Century Individual, S. 65-71;
E. Gilson, Der Geist, S. 374-80; E. Hirsch, Lutherstudien, Bd. 1, S. 13-6; P. Dinzelbacher,
Das erzwungene Individuum, S. 431 f. u.v. a.m. Zum geistesgeschichtlichen Zusammenhang vgl.
Th. Kobusch, Christliche Philosophie, S. 106-11.
688 Ein Überblick der Forschungen bis zur letzten Jahrtausendwende findet sich bei S. R. Kramer
/ C. W. Bynum, Revisiting the Twelfth-Century Individual, S. 57-63.
689 Vgl. mit weiteren Hinweisen L. Honnefelder, Transzendentalität und Moralität, S. 187-9.
690 Für die Rezeption des hier im Zentrum stehenden Traktats Von der vier Arten des Gewissens
vgl. die Angaben oben S. 164, Anm. 254; für die des Traktats vom Vom inneren Haus vgl. mit
weiteren Hinweisen meine Studie Der, Traktat vom inneren Haus‘.
691 Verwiesen sei auf den Rekurs des Erzbischofs von Mecheln, Desire Joseph Kardinal Mercier
(f 1926), der unter Bezug auf Bernhards Predigt Vom vierfachen Gewissen betonte, dass ein
Gewissen ruhig sein müsse, dies aber in Güte. „Our conscience must be tranquil, but in good-
ness“. Der entsprechenden Anmerkung ist zu entnehmen, dass er diese Predigt noch als 16. der
Parvi sermones zitierte: „Alia est conscientia tranquilla et non bona alia bona e tranquilla
(St. Bernard, ,Parvi Sermomnes/ XVI).“ Cardinal Mercier’s Conferences, S. 142.
692 Zur Entstehungsgeschichte und zum intellektuellen Umfeld Jankelevitchs in dieser Zeit vgl.
die Ausführungen von Andrew Kelley, dem englischen Übersetzer von La mauvaise consci-
ence, in: The Bad Conscience, S. vii-xix.
 
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