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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0018
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14 I Mirko Breitenstein

Ein solches Zusammendenken von Qualen der Hölle und solchen, die der
Mensch im Gewissen erleidet, ist durchaus typisch für die meditative Frömmig-
keitsliteratur des 17. und noch des 18. Jahrhunderts. Zahlreiche Autoren sowohl
des protestantischen als auch des katholischen Bekenntnisses identifizierten die
Regungen eines schlechten Gewissens mit jenen Martern, die man sich als jen-
seitige Strafen vorstellte.3
Dieses Zusammendenken von Hölle und Gewissen ist dabei in mindestens
zweifacher Hinsicht von Interesse: zum einen, weil die üblicherweise als körper-
lich zu erfahrenden jenseitigen Strafen hierdurch vergeistigt werden,4 und zum
anderen, weil dem Gewissen eine über den Moment des aktualen Empfindens
hinausreichende entzeitlichte Straffunktion für den Menschen zugesprochen
wird. Beide Aspekte sind nicht zu trennen. Dennoch soll im Folgenden der
zweite im Vordergrund stehen: Ich möchte den Blick auf die Entwicklungslinien
hin zu einem Denken richten, das in höllischen Strafen ganz wesentlich auch
Gewissensqualen zu erkennen glaubte. Dabei werde ich in drei Schritten vorge-
hen: Zunächst wird die dem Christentum inhärente supererogatorische Ethik
als zentrale Voraussetzung zu präsentieren sein - aus der moralischen Verpflich-
tung, stets mehr leisten zu müssen als normativ geboten war, erwuchs fast not-
wendig eine Überforderung, als deren sinnfälliger Ausdruck ein schlechtes Ge-
wissen gesehen werden kann. In einem zweiten Schritt sollen Deutungsmuster
präsentiert werden, denen zufolge die Hölle - unter Beibehaltung aller Vorstel-
lungen von äußerstem Schrecken und unüberbietbarer Grausamkeit - nicht als
erwekken können. Mit etzlichen Schrekkniß-vollen Kupfferstükken zugleich vorgebildet.
Wolfenbüttel: Conrad Buno (Erben) 1676, S. 233; zu diesem Text vgl. mit weiteren Hinweisen
Jörg Jochen Berns, Höllenmeditation. Zur meditativen Funktion und mnemotechnischen
Struktur barocker Höllenpoesie, in: Gerhard Kurz (Hg.), Meditation und Erinnerung in der
Frühen Neuzeit (Formen der Erinnerung 2), Göttingen 2000, S. 141-173.
3 Vgl. Stephanie Wodianka, Betrachtungen des Todes. Formen und Funktionen der meditatio
mortis in der europäischen Literatur des 17. Jahrhunderts (Frühe Neuzeit. Studien und Do-
kumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 90), Tübingen 2004,
v. a. S. 143-162; für die anglikanische Tradition vgl. William C. Creasy, The Shifting Land-
scape of Hell, in: Comitatus. A Journal of Medieval and Renaissance Studies 11, 1980, S. 40-
65; C. A. Patrides, Renaissance and Modern Views on Hell, in: The Harvard Theological
Review, Jg. 57/1964, Heft 3, S. 217-236 sowie speziell zur protestantischen Tradition im
Überblick: Erhard Kunz, Protestantische Eschatologie. Von der Reformation bis zur Auf-
klärung (Handbuch der Dogmengeschichte IV, 7c 1), Freiburg i. Br 1980, S. 16 und
4 Zur grundsätzlichen Frage, wie denn eine unkörperliche Seele überhaupt körperliche Strafen
erleiden könne vgl. Kurt Flasch, Die Seele im Feuer. Aristotelische Seelenlehre und augus-
tinisch-gregorianische Eschatologie bei Albert von Köln, Thomas von Aquino, Siger von
Brabant und Dietrich von Freiberg, in: Maarten J. F. M. HoENEN/Alain de Libera (Hgg.),
Albertus Magnus und der Albertismus. Deutsche philosophische Kultur des Mittelalters
(Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 48), Leiden 1995, S. 107-131.
 
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