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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0067
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Das urkirchliche Ideal der Franziskaner als Maßstab der Kirche I 63

Mit dieser Begriffsunterscheidung grenzte Ockham sich nicht allein gegen
den juristisch ausgebildeten Papst als kundiger Theologe ab, sondern er bahnte
auch den Weg dazu, eine theologisch-heilsgeschichtliche Interpretation des Ei-
gentums und mithin auch des zur Rede stehenden Standes der Franziskaner zu
entfalten. Hierzu knüpfte er an eine schon von Michael von Cesena herangezo-
gene56 Aussage aus den Pseudoclementinen an, die über die pseudoisidorischen
Dekretalen57 Eingang in das Decretum Gratiani gefunden hatte: Hier wurde als
Epistula 4 ein Schreiben des Clemens von Rom an Jakobus als Bischof von Jeru-
salem angeführt58:

56 S. Michael von Cesena, Appellatio. Forma minor (Bullarium Franciscanum [wie Anm. 4],
Bd. 5, Sp. 412 Anm.). Die Verwendung der Stelle findet sich sogar schon bei Bonaventura,
Apologia IX, 3 (Bonaventura, Opera 8, 295b): Sane quod dicit Clemens, quod,per iniqui-
tatem alius dicit, hoc esse suum, alius Und’, non est generaliter intelligendum, sed ut in
plurihus; vel intelligendum est, quod huiusmodi appropriatio descendtt ex iniquitate pri-
morumparentum, quia, nisi illipeccassent, huiusmodi appropriatio non fuisset; vgl. MÄKI-
nen, Property Rights (wie Anm. 9), S. 84; zur weiteren Verwendung im Armutsstreit s. am
Beispiel des Franziskus von Ascoli Roberto Lambertini, La povertä pensata. Evoluzione
storica della definizione dell’identitä minoritica da Bonaventura ad Ockham, Modena
2000, S. 206f.
57 Ps.-Isidor, Collectio c. 70 (Deceretales Pseudo-Isidonanae et Capitula Angilramm, ed. Paul
Hinschius, Leipzig 1863 [= Aalen 1963], S. 65f., das Zitat S. 65); zu den pseudoisidorischen
Dekretalen und ihrer Wirkung nach wie vor grundlegend: Horst Fuhrmann, Einfluß und
Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere
Zeit. 2 Teile (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 24,1/2), Stuttgart 1972, S. 73; zu
einer Überlieferungsschichte dieser Dekretalen, der sog. C-Klasse vgl. die Umdatierung aus
dem Hoch- in das Frühmittelalter bei Steffen Patzold, Gefälschtes Recht aus dem Frühmit-
telalter. Untersuchungen zur Herstellung und Überlieferung der pseudoisidorischen Dekre-
talen (Schriften der philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wis-
senschaften 55), Heidelberg 2015.
58 Dass ein solches Schreiben von Clemens an Jakobus chronologisch unplausibel war, wurde
schon vor der Zusammenstellung der pseudoisidorischen Dekretalen bemerkt und diskutiert
(s. Horst Fuhrmann, Kritischer Sinn und unkritische Haltung. Vorgratiamsche Einwände
zu Pseudo-Clemens-Briefen, in: Hubert Mordek [Hg.], Aus Kirche und Reich. Studien zu
Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. FS Friedrich Kempf, Sigmaringen 1983, S. 81-
95, S. 87f.); von solchen Einwänden müsste Ockham Kenntnis gehabt haben, da Marsilius von
Padua sie im Defensor pacis widerholt hatte: Quod autem inducehatur de Clementis epistola,
que intitulatur Ad lacohum fratrem Domini, non recipio tamquam certum; nam epistolam
fuisse Clementis valde suspectum est propter plura in ipsa contenta. Rursum sucpecti sunt hii
canones seu epistole (Marsilius, Defensor pacis d. 2 c. 28; Marsilius von Padua, Der Verteidi-
ger des Friedens [Defensor pacis]. 2 Bde., hg. von Horst Kusch, Darmstadt 1958, S. 958
[Nr. 531,15-20]; vgl. Fuhrmann, Kritischer Sinn [wie eben 58], S. 93): Ausgerechnet ein
zentraler Teil der Argumentation Ockhams bewegte sich mithin auf einem hinsichtlich der
Authentizität und rechtlichen Rezeptionsfähigkeit äußerst schwachen Grund. Ockham
konnte allerdings offenbar darauf vertrauen, dass der Papst sich das Argument ausgerechnet
des Marsilius nicht zu eigen machen würde.
 
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