Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0071
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Das urkirchliche Ideal der Franziskaner als Maßstab der Kirche I 67

gefallenen Natur - vom positiven Recht, das dominium im Sinne von proprietas
begründete, unterscheiden. Grundsätzlich klar war damit, dass jegliche Form
des gemeinsamen Eigentums nicht auf göttlichem Recht basierte, aber auch
eigentumsrechtlich gefasstes dominium commune auf Grundlage der potestas
appropriandi mit dieser zwar einer göttlichen Befugnis folgte, die ihrerseits aber
dem nicht eigentumsrechtlichen dominium des Urstandes und der mit diesem
verbundenen bloßen potestas utendi gegenüber defizitär war. Diese wiederum
begründete ein allenfalls als ius poli fassbares Naturrecht81 zur Nutzung der
temporalia, das auch unter den Bedingungen der positiven Rechtsbestimmun-
gen seine Wirkkraft nicht gänzlich verloren hatte, wie sich am Beispiel eines
Notdürftigen zeigt, der auf Grundlage dieses Rechts in äußerster Not zum Er-
halt seines Lebens jedwedes temporale nutzen darf82.
Auf jenen Satz, der den theoretischen Armutstreit ausgelöst hatte, angewandt,
dass nämlich quod Christus et apostoli, viam perfectionis sequentes, nihil hahuer-
unt iure proprietatis et dominii in speciah nec etiam in communi83, war deutlich,
dass dessen Bestreitung für Ockham bedeutet hätte, zu unterstellen, dass Chris-
tus und die Apostel ihre Existenz auf positiv-menschlichem Recht oder auf dem
defizienten Recht ex natura corrupta fundiert hätten, was gleicherweise einer via
perfectionis entgegenstand. Der gesamte heilsgeschichtliche Aufbau also machte
deutlich, dass er im Blick auf die franziskanische Existenz nur eine Antwort zu-
ließ: Wie die Apostel und Christus, so verzichteten auch die Franziskaner auf
jegliches Eigentum, das sich den postlapsarischen Bedingungen verdankte.
81 S. hierzu Kilcullen, Political Writings (wie Anm. 26), S. 308. Ockham, Dialogus p. 3 tr. 2.
I. 3 c. 6 bietet Ockham, ohne Verwendung des Terminus ius poli eine Differenzierung des
Naturrechts: Primum distinguiturpropter tres modos iuris naturalis. Primo enim modo dici-
tur ius naturale illud, quod est conforme rationi naturali, quae in nullo casu fallit [...] Aliter
ius naturale est, quod seruandum est ab Ulis, qui sola aequitate naturali absque omni consue-
tudine vel constitutione humana vtuntur, quod ideo est naturale, quia est contra statum natu-
rae institutae, et si omnes homines viuerent secundum rationalem naturalem aut legem diui-
nam, non esset faciendum nec seruandum, secundo modo, et non primo, ex iure naturali
omnia sunt communia [...]. Tertio modo dicitur ius naturale illud, quod ex iure gentium vel
aliquo facto humano evidenti ratione colligitur ([Melchior Goldast,] Monarchiae s. Romani
imperii sive tractatvvm de ivrisdictione imperiali sev regia [...] Tomvs secvndvs, Frankfurt:
Nikolaus Hoffmann / Konrad Biermann 1614, S. 932f.); offenkundig ist die zweite Form von
ius naturale diejenige, die die franziskanische Gemeinschaft beansprucht (s. Arthur McGrade,
Political Thought [wie Anm. 1], S. 179f.).
82 Ockham, Opus nonaginta dierum c. 65, 213-217 (Ockham, Opera Politica 2 [wie Anm. 50],
S. 578). Ockham rekurriert hiermit, wie schon Michael von Cesena (Michael von Cesena,
Appellatio. Forma minor [Bullarium Franciscanum 5 (wie Anm. 4), Sp.412 Anm.]), auf die
römisch-rechtlichen Bestimmungen über den ususfructus.
83 Nicolaus Minorita, Chronica (wie Anm. 4), S. 62; Bullarium Franciscanum 5 (wie Anm. 4),
S. 224 Anm. 1.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften