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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0074
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70 I Volker Leppin

Für die Urgemeinde spielte eine entscheidende Rolle der Vers omnes etiam qui
credebant erant pariter et habebant omnia communia (Act 2,44)98 99. Er besaß in-
sofern eine zentrale Bedeutung, als er zum einen eine Aussage nicht allein über
den Jüngerkreis enthielt, sondern über die Menge der credentes insgesamt, zum
anderen aber als er durch das habere die Frage aufwerfen konnte, ob es hier um
ein uti oder um ein proprium habere handele. Michael von Cesena verwies auf
eine ihm offenbar zugängliche Fassung der Glossa ordinaria, die genau letzteres
ausschloss: Indicium amoris fraterni est, omnia possidere et nihil proprium
habere". Wenn hier proprium und folglich proprietas auszuschließen
war, bedeutete dies nach Michael, dass das habere im Sinne des usus rerum
absque proprietate et dominio zu verstehen sei100. Entgegen dieser recht klaren
Aussage war Johannes XXIE nur bereit, Apg 2,44 unter der Maßgabe, dass die
communia im Sinne von proprietas oder dominium zu verstehen seien, auf die
gegenwärtige Diskussion zu beziehen101. Dem nun wiederum hielt Ockham ent-
gegen, dass niemand aus der Gemeinde der credentes, weder einzeln noch als
Gruppe, noch als Gesamtheit ein Recht gehabt hätte, die communia zu verkau-
fen. Eben dies aber sei kennzeichnend für proprietas. Mithin handele es sich
nicht um communia im Sinne der proprietas, sondern lediglich um solche, an
denen ein gemeinsamer usus simplex facti bestand102. Der Papst, der anders lehre,
irre offenkundig103.
Diesem Status der Urgemeinde nun schlossen sich die Franziskaner an, inso-
fern sie auf jegliches positive Recht an Gütern verzichteten104 und lediglich auf
jenes ius poli rekurrierten, das auch in der Notdurft galt105. Nicht einmal hierfür
98 Vgl. auch die Verweise auf Act 2,45; 4,35 bei Ockham, Opus nonaginta dierum c. 4, 366-368
(Ockham, Opera Politica 1 [wie Anm. 10], S. 337).
99 Michael von Cesena, Appellatio. Forma minor (Bullarium Franciscanum 5 [wie Anm. 4],
S. 411f. Anm.); s. biblia sacra cum glossa interlinear! ordinaria, Et Nicolai Lyrani Postilla,
eiusdem Moralitatibus, Burgensis Additionibus, Et Throngi Replicis. Tomvs sextvs, Venedig
1588,169r Interlinearglosse zur Stelle; an der entsprechenden Stelle der Ausgabe in PL 114,434
fehlt ein Kommentar zu Act 2,44).
100 Michael von Cesena, Appellatio. Forma minor (Bullarium Franciscanum 5 [wie Anm. 4],
S. 412 Anm.). Zu Recht hebt Horst, Evangelische Armut (wie Anm. 20), S. 80, hervor, dass
,,[d]ie Art und Weise, wie man ,etwas hat‘, (..) nach Ansicht des Traktats der Angelpunkt ei-
ner sachgemäßen Interpretation der Dokumente“ sei.
101 Johannes XXII., Quia vir reprobus (Bullarium Franciscanum 5 [wie Anm. 4], Sp. 412b).
102 Ockham, Opus nonaginta dierum c. 6, 115—123 (Ockham, Opera Politica 1 [wie Anm. 10],
S. 357f.).
103 Ockham, Opus nonaginta dierum c. 6, 112-115 (Ockham, Opera Politica 1 [wie Anm. 10],
S. 357).
104 Ockham, Opus nonaginta dierum c. 61, 123f. (Ockham, Opera Politica 2 [wie Anm. 50],
S. 561).
105 Ockham, Opus nonaginta dierum c. 65, 239—251 (Ockham, Opera Politica 2 [wie Anm. 50],
S. 578f.).
 
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