72 I Volker Leppin
Bezeichnend ist nun aber, dass Ockham sich, als er sich ab etwa 1337112 der
Kaiserfrage zuwandte, nicht etwa an die Argumentationsweise des Paduaners
anlehnte. Dies gilt sowohl im einzelnen Detail, insofern beide recht unterschied-
lich zu der Eheaffaire Margarete Maultasch Stellung nahmen113, als auch im the-
oretischen Gesamtentwurf. Während bei Marsilius der soziale Hintergrund
norditalienischer Städte unmittelbar erkennbar bleibt, ist es bei Wilhelm von
Ockham exakt der heilsgeschichtliche Entwurf, den er zugunsten des franziska-
nischen Armutsverständnisses entwickelt hatte, welcher nun auch für seine
Argumentation hinsichtlich der Kaiserwürde leitend wird. Angesichts der
methodischen Schwierigkeit, aus der hin- und hergehenden Argumentation des
Dialogus, der sich intensiv der Kaiserfrage zuwandte, Ockhams Meinung her-
auszupräparieren, erfolgt diese im Folgenden auf Grundlage des Breviloquium
de principatu tyrannico, das wohl in den Jahren 1341/42 entstanden ist114, also
rund ein Jahrzehnt nach dem Opus nonaginta dierum.
Der innere Zusammenhang von franziskanischer Option in der Armutsfrage
und Analyse der weltlichen Herrschaft wird schon daraus erkennbar, dass auch
in diesem Zusammenhang einer der Leitbegriffe das dominium ist. Ockham
schließt dabei ausdrücklich an die Argumentation im Armutsstreit an, indem er
bei der Analyse des dominium im Urstand erklärt: dicere enim, sicut dicit Joan-
nes XXII, quod in huiusmodi rebus non potest usus a dominio, quod est propri-
etas, separari, est haereticum manifeste115. Auch die Argumentation mit den
Pseudoclementinen nahm er wieder auf116, um den Unterschied zwischen dem
dominium im Urstand und nach dem Fall herauszuarbeiten. Freilich verwandte
112 S. Richard Scholz, Wilhelm von Ockham als politischer Denker und sein Breviloquium de
principatu tyrannico, Stuttgart 1952 (= Leipzig 1944) (= Monumenta Germaniae Historica.
SRI 8), S. 10.
113 S. Herman Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern und seiner Berater Marsilius von Padua
und Wilhelm von Ockham im Tiroler Ehekonflikt, in: Ders./Hans-Georg Hermann (Hgg.),
Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herr-
schaft (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte 22), Paderborn u. a. 2002,
S. 285-328; Volker Leppin, Papst, Kaiser und Ehedispens. Zur rechtlichen und politischen
Problematik der Eheaffaire Margarete Maultasch, in: Ders., Reformatorische Gestaltungen.
Theologie und Kirchenpolitik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Arbeiten zur Kirchen-
und Theologiegeschichte 43), Leipzig 2016, S. 20-32.
114 Scholz, Breviloquium (wie Anm. 112), S. 34f.
115 Ockham, Breviloquium III,9, 26-29 (Ockham, Opera Pohtica IV, hg. von Hillary S. Off-
ler, Oxford 1997, S. 182). Vor dem Hintergrund dieser offenkundigen Berührung zwischen
der Reflexion auf kaiserliche Herrschaft und der franziskanischen Armutsdiskussion wird
man zwar zu berücksichtigen haben, dass Ockham um die Unterscheidung von Herrschaft
über Sachen und über Personen recht genau wusste, sie aber nicht „everywhere“ scharf vor-
ausgesetzt (s. George Knysh, Political Ockhamism, Winnipeg 1996, S. 171), sondern theolo-
gisch auch in eine enge Verbindung gesetzt hat.
116 Ockham, Breviloquium 111,15,41-43 (Ockham, Opera Politica IV [wie Anm. 115], S. 191).
Bezeichnend ist nun aber, dass Ockham sich, als er sich ab etwa 1337112 der
Kaiserfrage zuwandte, nicht etwa an die Argumentationsweise des Paduaners
anlehnte. Dies gilt sowohl im einzelnen Detail, insofern beide recht unterschied-
lich zu der Eheaffaire Margarete Maultasch Stellung nahmen113, als auch im the-
oretischen Gesamtentwurf. Während bei Marsilius der soziale Hintergrund
norditalienischer Städte unmittelbar erkennbar bleibt, ist es bei Wilhelm von
Ockham exakt der heilsgeschichtliche Entwurf, den er zugunsten des franziska-
nischen Armutsverständnisses entwickelt hatte, welcher nun auch für seine
Argumentation hinsichtlich der Kaiserwürde leitend wird. Angesichts der
methodischen Schwierigkeit, aus der hin- und hergehenden Argumentation des
Dialogus, der sich intensiv der Kaiserfrage zuwandte, Ockhams Meinung her-
auszupräparieren, erfolgt diese im Folgenden auf Grundlage des Breviloquium
de principatu tyrannico, das wohl in den Jahren 1341/42 entstanden ist114, also
rund ein Jahrzehnt nach dem Opus nonaginta dierum.
Der innere Zusammenhang von franziskanischer Option in der Armutsfrage
und Analyse der weltlichen Herrschaft wird schon daraus erkennbar, dass auch
in diesem Zusammenhang einer der Leitbegriffe das dominium ist. Ockham
schließt dabei ausdrücklich an die Argumentation im Armutsstreit an, indem er
bei der Analyse des dominium im Urstand erklärt: dicere enim, sicut dicit Joan-
nes XXII, quod in huiusmodi rebus non potest usus a dominio, quod est propri-
etas, separari, est haereticum manifeste115. Auch die Argumentation mit den
Pseudoclementinen nahm er wieder auf116, um den Unterschied zwischen dem
dominium im Urstand und nach dem Fall herauszuarbeiten. Freilich verwandte
112 S. Richard Scholz, Wilhelm von Ockham als politischer Denker und sein Breviloquium de
principatu tyrannico, Stuttgart 1952 (= Leipzig 1944) (= Monumenta Germaniae Historica.
SRI 8), S. 10.
113 S. Herman Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern und seiner Berater Marsilius von Padua
und Wilhelm von Ockham im Tiroler Ehekonflikt, in: Ders./Hans-Georg Hermann (Hgg.),
Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herr-
schaft (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte 22), Paderborn u. a. 2002,
S. 285-328; Volker Leppin, Papst, Kaiser und Ehedispens. Zur rechtlichen und politischen
Problematik der Eheaffaire Margarete Maultasch, in: Ders., Reformatorische Gestaltungen.
Theologie und Kirchenpolitik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Arbeiten zur Kirchen-
und Theologiegeschichte 43), Leipzig 2016, S. 20-32.
114 Scholz, Breviloquium (wie Anm. 112), S. 34f.
115 Ockham, Breviloquium III,9, 26-29 (Ockham, Opera Pohtica IV, hg. von Hillary S. Off-
ler, Oxford 1997, S. 182). Vor dem Hintergrund dieser offenkundigen Berührung zwischen
der Reflexion auf kaiserliche Herrschaft und der franziskanischen Armutsdiskussion wird
man zwar zu berücksichtigen haben, dass Ockham um die Unterscheidung von Herrschaft
über Sachen und über Personen recht genau wusste, sie aber nicht „everywhere“ scharf vor-
ausgesetzt (s. George Knysh, Political Ockhamism, Winnipeg 1996, S. 171), sondern theolo-
gisch auch in eine enge Verbindung gesetzt hat.
116 Ockham, Breviloquium 111,15,41-43 (Ockham, Opera Politica IV [wie Anm. 115], S. 191).