Autorität und Strahlkraft I 95
vor allem die Statuten. Eine kompositorische Nähe etwa zu den oberitalieni-
schen Stadtstatuten scheint durchaus gegeben.44
Ein sich direkt anschließender, komplexerer, aber durchaus weiter führender
Ansatz, wäre es, nicht von den Regeln im strikten Sinne auszugehen, sondern
vom Phänomen der „Regelhaftigkeit“ - einem Phänomen, das definitorisch wohl
schwerer beherrschbar ist, jedoch aus kulturgeschichtlicher Perspektive analy-
tisch in all seinen Facetten enorm fruchtbar gemacht werden kann. Es reichte
etwa vom Tennisspiel, ein Spiel, das nordfranzösische Mönche erfanden, um Re-
geltreue zu schulen, das dann aber rasch in den Fürstenhöfen gespielt wurde,45
bis hin zu den formellen Verfahren und Rationalisierungspraktiken, denen sich
Gert Melville und Michael Hänchen im vorliegenden Band widmen.46
Religiöse Regeln, so lässt sich festhalten, sprachen den gesamten Menschen an.
Einem Personalausweis ähnlich wurden sie zu Identitätskarten, die jeder Religi-
öse, auch Bruder Bernhard, im Inneren bei sich trug und die zweifelsfrei unsere
Kultur prägten und die Welt veränderten. Regeln befähigten tatsächlich dazu,
aus dem religiösen Leben heraus das Umfeld zu gestalten. Wenn einzelne Phä-
nomene auch nicht immer direkt nachweisbar sind, so steht die von einer im-
mensen Autorität der Regeln und deren über aktives Handeln in die Welt
hineinvermittelte indirekte Wirkmacht tatsächlich außer Frage.
Dr. Jörg Sonntag
Technische Universität Dresden
Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG)
01062 Dresden
44 Zum Charakter der oberitalienischen Stadtstatuten siehe Hagen Keller, Oberitalienische
Statuten als Zeugen und Quellen für den Verschriftlichungsprozess im 12. und 13. Jahrhun-
dert, in: Frühmittelalterliche Studien 22, 1988, S. 286-314; Ders., Die Veränderung gesell-
schaftlichen Handelns und die Verschriftlichung der Administration in den italienischen
Stadtkommunen, in: Ders./Klaus GRUBMÜLLER/Nikolaus Staubach (Hgg.), Pragmatische
Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen (Münstersche
Mittelalter-Schriften 65), Münster 1992, S. 21-36; sowie jüngst und im Überblick Ders., Die
Erforschung der italienischen Stadtkommunen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Früh-
mittelalterliche Studien 48, 2015, S. 1-38.
45 Vgl. u.a. Heiner Gillmeister, Tennis. A Cultural History, London 1997, S. 1-34 und zu-
sammenfassend Jörg Sonntag, Erfinder, Vermittler und Interpretatoren. Ordensleute und
das Spiel im Gefüge der mittelalterlichen Gesellschaft, in: Jörg Sonntag (Hg.), Religiosus
Ludens. Das Spiel als kulturelles Phänomen in mittelalterlichen Klöstern und Orden (Arbei-
ten zur Kirchengeschichte 122), Berlin 2013, S. 257-259.
46 Siehe Beitrag von Michael HÄNCHEN/Gert Melville im vorliegenden Band.
vor allem die Statuten. Eine kompositorische Nähe etwa zu den oberitalieni-
schen Stadtstatuten scheint durchaus gegeben.44
Ein sich direkt anschließender, komplexerer, aber durchaus weiter führender
Ansatz, wäre es, nicht von den Regeln im strikten Sinne auszugehen, sondern
vom Phänomen der „Regelhaftigkeit“ - einem Phänomen, das definitorisch wohl
schwerer beherrschbar ist, jedoch aus kulturgeschichtlicher Perspektive analy-
tisch in all seinen Facetten enorm fruchtbar gemacht werden kann. Es reichte
etwa vom Tennisspiel, ein Spiel, das nordfranzösische Mönche erfanden, um Re-
geltreue zu schulen, das dann aber rasch in den Fürstenhöfen gespielt wurde,45
bis hin zu den formellen Verfahren und Rationalisierungspraktiken, denen sich
Gert Melville und Michael Hänchen im vorliegenden Band widmen.46
Religiöse Regeln, so lässt sich festhalten, sprachen den gesamten Menschen an.
Einem Personalausweis ähnlich wurden sie zu Identitätskarten, die jeder Religi-
öse, auch Bruder Bernhard, im Inneren bei sich trug und die zweifelsfrei unsere
Kultur prägten und die Welt veränderten. Regeln befähigten tatsächlich dazu,
aus dem religiösen Leben heraus das Umfeld zu gestalten. Wenn einzelne Phä-
nomene auch nicht immer direkt nachweisbar sind, so steht die von einer im-
mensen Autorität der Regeln und deren über aktives Handeln in die Welt
hineinvermittelte indirekte Wirkmacht tatsächlich außer Frage.
Dr. Jörg Sonntag
Technische Universität Dresden
Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG)
01062 Dresden
44 Zum Charakter der oberitalienischen Stadtstatuten siehe Hagen Keller, Oberitalienische
Statuten als Zeugen und Quellen für den Verschriftlichungsprozess im 12. und 13. Jahrhun-
dert, in: Frühmittelalterliche Studien 22, 1988, S. 286-314; Ders., Die Veränderung gesell-
schaftlichen Handelns und die Verschriftlichung der Administration in den italienischen
Stadtkommunen, in: Ders./Klaus GRUBMÜLLER/Nikolaus Staubach (Hgg.), Pragmatische
Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen (Münstersche
Mittelalter-Schriften 65), Münster 1992, S. 21-36; sowie jüngst und im Überblick Ders., Die
Erforschung der italienischen Stadtkommunen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Früh-
mittelalterliche Studien 48, 2015, S. 1-38.
45 Vgl. u.a. Heiner Gillmeister, Tennis. A Cultural History, London 1997, S. 1-34 und zu-
sammenfassend Jörg Sonntag, Erfinder, Vermittler und Interpretatoren. Ordensleute und
das Spiel im Gefüge der mittelalterlichen Gesellschaft, in: Jörg Sonntag (Hg.), Religiosus
Ludens. Das Spiel als kulturelles Phänomen in mittelalterlichen Klöstern und Orden (Arbei-
ten zur Kirchengeschichte 122), Berlin 2013, S. 257-259.
46 Siehe Beitrag von Michael HÄNCHEN/Gert Melville im vorliegenden Band.