Die Macht formaler Verfahren
Zum ,methodischen Betrieb' mittelalterlicher Orden1
Michael Hänchen und Gert Melville
Durch die Schöpfung einer schriftlich fixierten Regel und ihre praktische
Anwendung in daraus abgeleiteten Consuetudines besaß das klösterliche Ge-
meinschaftsleben zwar seit den frühesten Entstehungsphasen in der Spätantike
bereits ein wirkungsvolles Ordnungsinstrument.2 Jedoch erst ab dem 12. Jahr-
hundert hatte die neuartige, ebenso regional übergreifende wie strikt zusam-
menbindende Organisationsform der religiösen Orden die notwendigen Vor-
aussetzungen für hoch effiziente Mechanismen zur aktiven Steuerung der
institutionellen Abläufe mit einer derart rational bestimmten Innovationskraft
geschaffen, dass man in der Tat von einem Paradigmenwechsel in der Verfasst-
heit des klösterlichen Lebens sprechen kann. Neben der Einrichtung einer ver-
sachlichten und strikt zentralisierten Ordensleitung hatten hierfür die Orden
erstens die weitgehend autonome Erstellung eines Eigenrechts (ins proprium) in
Form gesatzter Statuten, das auf exakt gefassten Legaldefinitionen fußte, zwei-
tens die Konstituierung eines Generalkapitels als repräsentatives Entschei-
dungsorgan des Gesamtordens mit der Verabschiedung von rechtsverbindlichen
Beschlüssen (definitiones) und drittens die Institutionalisierung einer ordens-
intern durchgeführten, systematischen Visitation verwirklicht.
Diese drei Bereiche bildeten in funktionalem Ineinandergreifen gleichsam
den Angelpunkt für die Sicherung der Ordnung im Orden. Sie waren die
1 Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen des DFG-Projektes „Steuerung durch serielle Ver-
fahrensabläufe. Eine historische Analyse der organisatorischen Praxis mittelalterlicher Or-
den“ (Projektleiter: Gert Melville; Bearbeiter: Michael Hänchen). Michael Hänchen verfasste
hier den empirischen Teil (S. 103-117), Gert Melville die Einleitung (S. 97-102), wobei er sich
verkürzend anlehnte an seine Abhandlung: Formale Verfahren als Steuerungsmechanismen
mittelalterlicher Orden. Aufriss eines Forschungsfeldes, in: Andre BRODOCZ/Dietrich
HERRMANN/Rainer ScHMiDT/Daniel ScHULZ/Julia Schulze Wessel (Hgg.), Die Verfas-
sung des Politischen. Festschrift für Hans Vorländer, Wiesbaden 2014, S. 25-44.
2 Dazu und zu Folgendem siehe im kurzen Überblick Gert Melville, Die Welt der mittel-
alterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München 2012, S. 285-300; zu einem
weiteren vergleichenden Umblick siehe Cristina ANDENNA/Gert Melville (Hgg.), Regu-
lae - Consuetudines - Statuta. Studi sulle fonti normative degli ordini religiosi nei secoli
centrali del Medioevo (Vita regularis. Abhandlungen 25), Münster 2005.
Zum ,methodischen Betrieb' mittelalterlicher Orden1
Michael Hänchen und Gert Melville
Durch die Schöpfung einer schriftlich fixierten Regel und ihre praktische
Anwendung in daraus abgeleiteten Consuetudines besaß das klösterliche Ge-
meinschaftsleben zwar seit den frühesten Entstehungsphasen in der Spätantike
bereits ein wirkungsvolles Ordnungsinstrument.2 Jedoch erst ab dem 12. Jahr-
hundert hatte die neuartige, ebenso regional übergreifende wie strikt zusam-
menbindende Organisationsform der religiösen Orden die notwendigen Vor-
aussetzungen für hoch effiziente Mechanismen zur aktiven Steuerung der
institutionellen Abläufe mit einer derart rational bestimmten Innovationskraft
geschaffen, dass man in der Tat von einem Paradigmenwechsel in der Verfasst-
heit des klösterlichen Lebens sprechen kann. Neben der Einrichtung einer ver-
sachlichten und strikt zentralisierten Ordensleitung hatten hierfür die Orden
erstens die weitgehend autonome Erstellung eines Eigenrechts (ins proprium) in
Form gesatzter Statuten, das auf exakt gefassten Legaldefinitionen fußte, zwei-
tens die Konstituierung eines Generalkapitels als repräsentatives Entschei-
dungsorgan des Gesamtordens mit der Verabschiedung von rechtsverbindlichen
Beschlüssen (definitiones) und drittens die Institutionalisierung einer ordens-
intern durchgeführten, systematischen Visitation verwirklicht.
Diese drei Bereiche bildeten in funktionalem Ineinandergreifen gleichsam
den Angelpunkt für die Sicherung der Ordnung im Orden. Sie waren die
1 Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen des DFG-Projektes „Steuerung durch serielle Ver-
fahrensabläufe. Eine historische Analyse der organisatorischen Praxis mittelalterlicher Or-
den“ (Projektleiter: Gert Melville; Bearbeiter: Michael Hänchen). Michael Hänchen verfasste
hier den empirischen Teil (S. 103-117), Gert Melville die Einleitung (S. 97-102), wobei er sich
verkürzend anlehnte an seine Abhandlung: Formale Verfahren als Steuerungsmechanismen
mittelalterlicher Orden. Aufriss eines Forschungsfeldes, in: Andre BRODOCZ/Dietrich
HERRMANN/Rainer ScHMiDT/Daniel ScHULZ/Julia Schulze Wessel (Hgg.), Die Verfas-
sung des Politischen. Festschrift für Hans Vorländer, Wiesbaden 2014, S. 25-44.
2 Dazu und zu Folgendem siehe im kurzen Überblick Gert Melville, Die Welt der mittel-
alterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München 2012, S. 285-300; zu einem
weiteren vergleichenden Umblick siehe Cristina ANDENNA/Gert Melville (Hgg.), Regu-
lae - Consuetudines - Statuta. Studi sulle fonti normative degli ordini religiosi nei secoli
centrali del Medioevo (Vita regularis. Abhandlungen 25), Münster 2005.