Die Macht formaler Verfahren I 117
bestimmten Routine zu deren Beurteilung und Sanktionierung unterworfen
und dementsprechend gleichartig formalisiert innerhalb eines kalkulierbaren
Verfahrensablaufes routinemäßig gelöst werden. Voraussetzung war eine sich
entwickelnde pragmatische Schriftlichkeit auch in Bereichen der Kontrolle
und der Rechtsprechung,70 welche serielle Abläufe festhalten und wiedergeben
konnte und damit längere Verfahrenssequenzen überhaupt erst ermöglichte -
Sequenzen zudem, die eine gewissermaßen ,saubere* Verfahrensführung ge-
währleistete, indem sie sich auf eine objektive Tatbestandserhebung und -prü-
fung stützen konnte und dann auch bestmögliche Kompetenzzuweisungen für
Entscheidungen und deren Vollziehen treffen ließ. Diese vier Schritte stellten
den Verfahrenskern dar - auf ihn suchte man die Behandlung auch komplexer
Sachverhalte immer wieder zurückzuführen, auch wenn das die kurzzeitige
Aufgabe der eigenen Verfahrensautonomie bedeutete. Den religiösen Orden
war damit ein Instrument zur Hand gegeben, das - unabhängig davon, um
welches einzelne und für sich allein höchst gefährdete Haus es irgendwo kon-
kret ging - immer den Orden als Ganzen inkludierte, denn die Eigenart der
Verfahren war, dass es seine systemischen Grenzen auf alle Räume ausdehnen
konnte, wo auch immer im Orden Probleme entstanden. Ein partikuläres Pro-
blem wurde dadurch stets zum universellen, und jede exogene Störung hatte es
immer mit dem ganzen Orden zu tun. In dieser Struktur lag wohl der tiefere
Grund für die Wirkmacht der formalen Verfahren.
Dr. Michael Hänchen
Prof. Dr. Dr. h.c. Gert Melville
Technische Universität Dresden
Forschungsstelle für vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG)
01062 Dresden
70 Vgl. Florent CYGLER/Gert MELViLLE/Jörg Oberste, Aspekte zur Verbindung von Organi-
sation und Schriftlichkeit im Ordenswesen: ein Vergleich zwischen den Zisterziensern und
Cluniazensern des 12. / 13. Jahrhunderts, in: Clemens M. Kasper/KBus Schreiner (Hgg.),
Viva vox und ratio scripta. Mündliche und schriftliche Kommunikationsformen im Mönch-
tum des Mittelalters (Vita regularis 5), S. 205-280.
bestimmten Routine zu deren Beurteilung und Sanktionierung unterworfen
und dementsprechend gleichartig formalisiert innerhalb eines kalkulierbaren
Verfahrensablaufes routinemäßig gelöst werden. Voraussetzung war eine sich
entwickelnde pragmatische Schriftlichkeit auch in Bereichen der Kontrolle
und der Rechtsprechung,70 welche serielle Abläufe festhalten und wiedergeben
konnte und damit längere Verfahrenssequenzen überhaupt erst ermöglichte -
Sequenzen zudem, die eine gewissermaßen ,saubere* Verfahrensführung ge-
währleistete, indem sie sich auf eine objektive Tatbestandserhebung und -prü-
fung stützen konnte und dann auch bestmögliche Kompetenzzuweisungen für
Entscheidungen und deren Vollziehen treffen ließ. Diese vier Schritte stellten
den Verfahrenskern dar - auf ihn suchte man die Behandlung auch komplexer
Sachverhalte immer wieder zurückzuführen, auch wenn das die kurzzeitige
Aufgabe der eigenen Verfahrensautonomie bedeutete. Den religiösen Orden
war damit ein Instrument zur Hand gegeben, das - unabhängig davon, um
welches einzelne und für sich allein höchst gefährdete Haus es irgendwo kon-
kret ging - immer den Orden als Ganzen inkludierte, denn die Eigenart der
Verfahren war, dass es seine systemischen Grenzen auf alle Räume ausdehnen
konnte, wo auch immer im Orden Probleme entstanden. Ein partikuläres Pro-
blem wurde dadurch stets zum universellen, und jede exogene Störung hatte es
immer mit dem ganzen Orden zu tun. In dieser Struktur lag wohl der tiefere
Grund für die Wirkmacht der formalen Verfahren.
Dr. Michael Hänchen
Prof. Dr. Dr. h.c. Gert Melville
Technische Universität Dresden
Forschungsstelle für vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG)
01062 Dresden
70 Vgl. Florent CYGLER/Gert MELViLLE/Jörg Oberste, Aspekte zur Verbindung von Organi-
sation und Schriftlichkeit im Ordenswesen: ein Vergleich zwischen den Zisterziensern und
Cluniazensern des 12. / 13. Jahrhunderts, in: Clemens M. Kasper/KBus Schreiner (Hgg.),
Viva vox und ratio scripta. Mündliche und schriftliche Kommunikationsformen im Mönch-
tum des Mittelalters (Vita regularis 5), S. 205-280.