Theorie für die Praxis I 163
Primat war offenbar familiär in St-Denis zu Hause und hat sich in seinem Le-
ben selten aus dessen Umfeld hinausbewegt. Unterricht an Schulen des Benedik-
tinerordens und Studien an der Artes- und wohl auch der theologischen Fakultät
der Universität Paris in den frühen 1250er Jahren begründeten seine persönliche
Gelehrsamkeit. Sein Interesse sowohl an der klerikalen wie an der ritterlichen
Welt und die Lektüre entsprechender Textcorpora weiteten seinen Horizont. Die
Loyalität und persönliche Nähe zum König gaben die Richtung seines historio-
graphischen Anliegens vor.43 Als Vertreter der Wissenskultur der Benediktiner,
als Angehöriger des königsnahen Klosters St-Denis und als gesellschaftlich wie
politisch interessierte Persönlichkeit repräsentiert Primat den in seiner Zeit, dem
13. Jahrhundert, einflussreichen Typus des monastischen Gelehrten.
5. Mönche in der Wissenschaft.
Die Innovationen der Mendikanten
Von Primat scheint zunächst keine Linie zu Pacioli zu führen. Nicht nur der
Abstand von mehr als zwei Jahrhunderten trennt beide und nicht nur der Unter-
schied zwischen Königshof und Kommune. Mehr noch unterscheidet sie ihr
methodischer Zugang zum Wissen, der auch mit ihren unterschiedlichen Or-
denszugehörigkeiten zu tun haben könnte: Primat ist als gelehrter Autor, Kom-
pilator und Historiograph bei aller Eigenständigkeit und auch Innovativität der
Gestaltung doch vor allem Fortsetzer einer gelehrten Tradition. Pacioli steht für
ein empirisches, auf mathematische Wissenschaften und wirtschaftliche Kalku-
lationen ausgerichtetes Studium. Dass sich sein Anteil an eigenständigen Er-
kenntnissen in engeren Grenzen bewegt, als sein umfangreiches Werk suggeriert,
ist von neueren Bearbeitern bemerkt worden. Bereits seit der grundlegenden,
1978 erschienenen, Studie von Michael Wolff zur Geschichte der Impetustheo-
rie lässt sich festhalten, dass Paciolis ökonomische und naturwissenschaftliche
Theorien auf einer langen Tradition scholastischer Wissenschaft aufbauen, die im
13. und 14. Jahrhundert entstand.44
Deren Anfänge liegen in der Zeit Primats und sind demselben Milieu wie er
zuzurechnen, einem Kreis universitär gebildeter, monastischer Gelehrter. Petrus
Johannis Olivi etwa oder Franciscus de Marchia formulierten im Kontext des
sogenannten „Armutsstreits“ theologische wie finanzökonomische Positionen,
mit denen sie weit über ihre Zeit hinauswiesen, Johannes Duns Scotus wurde für
43 Guenee, Comment on ecrit l’histoire (wie Anm. 30), S. 60-62.
44 Michael Wolff, Geschichte der Impetustheorie. Untersuchungen zum Ursprung der klassi-
schen Mechanik, Frankfurt/M. 1978.
Primat war offenbar familiär in St-Denis zu Hause und hat sich in seinem Le-
ben selten aus dessen Umfeld hinausbewegt. Unterricht an Schulen des Benedik-
tinerordens und Studien an der Artes- und wohl auch der theologischen Fakultät
der Universität Paris in den frühen 1250er Jahren begründeten seine persönliche
Gelehrsamkeit. Sein Interesse sowohl an der klerikalen wie an der ritterlichen
Welt und die Lektüre entsprechender Textcorpora weiteten seinen Horizont. Die
Loyalität und persönliche Nähe zum König gaben die Richtung seines historio-
graphischen Anliegens vor.43 Als Vertreter der Wissenskultur der Benediktiner,
als Angehöriger des königsnahen Klosters St-Denis und als gesellschaftlich wie
politisch interessierte Persönlichkeit repräsentiert Primat den in seiner Zeit, dem
13. Jahrhundert, einflussreichen Typus des monastischen Gelehrten.
5. Mönche in der Wissenschaft.
Die Innovationen der Mendikanten
Von Primat scheint zunächst keine Linie zu Pacioli zu führen. Nicht nur der
Abstand von mehr als zwei Jahrhunderten trennt beide und nicht nur der Unter-
schied zwischen Königshof und Kommune. Mehr noch unterscheidet sie ihr
methodischer Zugang zum Wissen, der auch mit ihren unterschiedlichen Or-
denszugehörigkeiten zu tun haben könnte: Primat ist als gelehrter Autor, Kom-
pilator und Historiograph bei aller Eigenständigkeit und auch Innovativität der
Gestaltung doch vor allem Fortsetzer einer gelehrten Tradition. Pacioli steht für
ein empirisches, auf mathematische Wissenschaften und wirtschaftliche Kalku-
lationen ausgerichtetes Studium. Dass sich sein Anteil an eigenständigen Er-
kenntnissen in engeren Grenzen bewegt, als sein umfangreiches Werk suggeriert,
ist von neueren Bearbeitern bemerkt worden. Bereits seit der grundlegenden,
1978 erschienenen, Studie von Michael Wolff zur Geschichte der Impetustheo-
rie lässt sich festhalten, dass Paciolis ökonomische und naturwissenschaftliche
Theorien auf einer langen Tradition scholastischer Wissenschaft aufbauen, die im
13. und 14. Jahrhundert entstand.44
Deren Anfänge liegen in der Zeit Primats und sind demselben Milieu wie er
zuzurechnen, einem Kreis universitär gebildeter, monastischer Gelehrter. Petrus
Johannis Olivi etwa oder Franciscus de Marchia formulierten im Kontext des
sogenannten „Armutsstreits“ theologische wie finanzökonomische Positionen,
mit denen sie weit über ihre Zeit hinauswiesen, Johannes Duns Scotus wurde für
43 Guenee, Comment on ecrit l’histoire (wie Anm. 30), S. 60-62.
44 Michael Wolff, Geschichte der Impetustheorie. Untersuchungen zum Ursprung der klassi-
schen Mechanik, Frankfurt/M. 1978.