212 I Regina D. Schiewer
einen großen Teil der Texte der Frühen deutschen Predigt wahrscheinlich ge-
macht werden. Das Hauptargument hierfür sind Predigten, die aus fremden
Sammlungszusammenhängen in die Millstätter Predigtsammlung inseriert oder
integriert wurden:
In die ansonsten von einer Hand geschriebene Handschrift wurde eine Lage
mit Predigten für die Sonntage nach Ostern inseriert. Diese Lage wurde einer
älteren Handschrift entnommen. Die Predigten dieser Lage gehören zur sog.
Sammlung VII der ,Leipziger Predigtsammlung'. Sammlung VII ist eine unge-
wöhnlich breit bezeugte Sammlung, deren Predigten uns in 12 Handschriften
oder Handschriftenfragmenten überliefert sind, darunter nicht wenige Frag-
mente, die noch in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts datieren. Nur für zwei
der Textzeugen lassen sich Provenienzen nachweisen, für den Münchener Codex
Cgm 39, der das sog. ,Speculum ecclesiae deutsch' überliefert, und für eine
Stuttgarter Handschrift45. Die Handschrift des ,Speculum ecclesiae deutsch'
entstand vermutlich gegen 1170 und stammt aus Benediktbeuren, die Stuttgarter
Handschrift ist erst gegen 1250 entstanden und stammt aus Blaubeuren. Bene-
diktbeuren und Blaubeuren waren beides Klöster, die sich der Hirsauer Reform-
bewegung angeschlossen hatten.
Auf die Übernahme aus einem anderen Sammlungskontext weist auch die
ungewöhnliche Position der Millstätter Martinspredigt hin: Sie findet sich nach
der Commune-Predigt auf einen beliebigen Heiligen zusammen mit den Predig-
ten auf Nikolaus und Thomas auf einer eigenen Lage. Diese Lage wirkt - ob-
wohl sie von der Haupthand geschrieben wurde - inseriert, weil die letzten an-
derthalb Seiten ursprünglich unbeschrieben geblieben waren. Die Predigten auf
die Sonntage nach Pfingsten beginnen im Anschluss auf einer neuen Lage. Die
Martinspredigt ist jedoch nicht nur wegen ihrer Stellung auffällig, sondern auch
wegen ihrer Überlieferung: Mit ihren drei Parallelüberlieferungen im ,Speculum
Ecclesiae deutsch', in der ,Leipziger Sammlung VI' und bei den ,Schlägler
Bruchstücken' ist sie eine der am häufigsten überlieferten frühen deutschen Pre-
digten. Sie fügt sich nicht in die sonst für die ,Millstätter Sammlung' typische
Struktur der Predigten em: Ihr fehlt das lateinische Initium, sie redet die Zuhö-
rer mit Lieben liute statt mit mine karissimi oder mine (vil) lieben an, und in ihr
findet sich die in Rubrum geschriebene Anweisung für den Prediger Ammonicio
für ein selbstgestaltetes Ende der Predigt.
Mit der Übernahme einer ganzen Lage einer anderen Predigtsammlung sowie
mit der Integration ursprünglich sammlungsfremder Predigten lassen sich die
,Millstätter Predigten' im großen Überlieferungskomplex der ,Leipziger Predig-
45 Stuttgart, Wiirttembergische Landesbibliothek, Cod. HB I 129.
einen großen Teil der Texte der Frühen deutschen Predigt wahrscheinlich ge-
macht werden. Das Hauptargument hierfür sind Predigten, die aus fremden
Sammlungszusammenhängen in die Millstätter Predigtsammlung inseriert oder
integriert wurden:
In die ansonsten von einer Hand geschriebene Handschrift wurde eine Lage
mit Predigten für die Sonntage nach Ostern inseriert. Diese Lage wurde einer
älteren Handschrift entnommen. Die Predigten dieser Lage gehören zur sog.
Sammlung VII der ,Leipziger Predigtsammlung'. Sammlung VII ist eine unge-
wöhnlich breit bezeugte Sammlung, deren Predigten uns in 12 Handschriften
oder Handschriftenfragmenten überliefert sind, darunter nicht wenige Frag-
mente, die noch in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts datieren. Nur für zwei
der Textzeugen lassen sich Provenienzen nachweisen, für den Münchener Codex
Cgm 39, der das sog. ,Speculum ecclesiae deutsch' überliefert, und für eine
Stuttgarter Handschrift45. Die Handschrift des ,Speculum ecclesiae deutsch'
entstand vermutlich gegen 1170 und stammt aus Benediktbeuren, die Stuttgarter
Handschrift ist erst gegen 1250 entstanden und stammt aus Blaubeuren. Bene-
diktbeuren und Blaubeuren waren beides Klöster, die sich der Hirsauer Reform-
bewegung angeschlossen hatten.
Auf die Übernahme aus einem anderen Sammlungskontext weist auch die
ungewöhnliche Position der Millstätter Martinspredigt hin: Sie findet sich nach
der Commune-Predigt auf einen beliebigen Heiligen zusammen mit den Predig-
ten auf Nikolaus und Thomas auf einer eigenen Lage. Diese Lage wirkt - ob-
wohl sie von der Haupthand geschrieben wurde - inseriert, weil die letzten an-
derthalb Seiten ursprünglich unbeschrieben geblieben waren. Die Predigten auf
die Sonntage nach Pfingsten beginnen im Anschluss auf einer neuen Lage. Die
Martinspredigt ist jedoch nicht nur wegen ihrer Stellung auffällig, sondern auch
wegen ihrer Überlieferung: Mit ihren drei Parallelüberlieferungen im ,Speculum
Ecclesiae deutsch', in der ,Leipziger Sammlung VI' und bei den ,Schlägler
Bruchstücken' ist sie eine der am häufigsten überlieferten frühen deutschen Pre-
digten. Sie fügt sich nicht in die sonst für die ,Millstätter Sammlung' typische
Struktur der Predigten em: Ihr fehlt das lateinische Initium, sie redet die Zuhö-
rer mit Lieben liute statt mit mine karissimi oder mine (vil) lieben an, und in ihr
findet sich die in Rubrum geschriebene Anweisung für den Prediger Ammonicio
für ein selbstgestaltetes Ende der Predigt.
Mit der Übernahme einer ganzen Lage einer anderen Predigtsammlung sowie
mit der Integration ursprünglich sammlungsfremder Predigten lassen sich die
,Millstätter Predigten' im großen Überlieferungskomplex der ,Leipziger Predig-
45 Stuttgart, Wiirttembergische Landesbibliothek, Cod. HB I 129.