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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0227
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Die Welt in Geschichten erfassen I 223

Kontext zeitgenössischer Debatten oder Ereignisse und schließlich die Einbet-
tung von Exempeln darin rücken.
Diese vielschichtige Perspektive lässt sich mithilfe des Begriffs „exemplari-
sches Erzählen“ zum Ausdruck bringen. Methodisch wurde dieser Terminus
bereits in einem anderen Zusammenhang, nämlich in den Arbeiten Jörn Rüsens
zu Geschichtsbewusstsein und seiner Typologie jeglicher Sprachhandlungen
über die Vergangenheit, maßgeblich elaboriert.7 Rüsen versteht historisches Er-
zählen zunächst ganz grundsätzlich als eine Methode, „Zeit als Handlungsab-
sicht und Zeit als Handlungsbedingung“ in den „Zusammenhang einer Orien-
tierung der menschlichen Lebenspraxis“ zu bringen. Vor diesem Hintergrund
unterscheidet er vier grundlegende „Typen historischen Erzählens“, die freilich
nicht absolut voneinander abzugrenzen sind, sondern sich wechselseitig beein-
flussen und gemeinsam einen Erkenntnisprozess formieren. Zu ihnen gehört
auch das „exemplarische historische Erzählen“, das an „Sachverhalte der Ver-
gangenheit [erinnert], [welche] die Regeln gegenwärtiger Lebensverhältnisse
konkretisieren“. Entscheidend ist just dieser Bezug auf bestimmte Regeln und
Normen, formuliert sich das exemplarische Erzählen doch „in Geschichten, die
zeitliche Veränderungen der Vergangenheit auf regelhafte Vorgänge hin durch-
sichtig machen.“8 Durch diese Geschichten würden Erfahrungen in der Gegen-
wart als vergleichbare Vorgänge oder Ereignisse verstehbar und nachvollziehbar
gemacht.
Aus diesen methodischen Grundannahmen lassen sich vier Vermutungen ab-
leiten, die im Folgenden anhand ausgewählter Textbeispiele aus dem 13. Jahr-
hundert zu erproben sein werden:
1. Traditionen oder die Erfahrung gemeinschaftlicher Normen sind eine Vor-
aussetzung für das Funktionieren exemplarischen Erzählens. Ein gemein-
schaftsrelevantes Handeln wie etwa das eingangs beschriebene Verspotten der
vom Apostolischen Legaten durchgeführten Exkommunikation kann selbst
mithilfe des Storch-Exempels nur als deviant begriffen werden, wenn über die
zugrundeliegende Regel des angemessenen Gehorsams Konsens besteht.
2. Zugleich zeigt die Erzählweise des exemplarischen Erzählens, „wie sich re-
gelbewußtes Handeln auf unterschiedliche Kontexte einlassen kann“ (Rüsen).
Indem es nämlich einem jeden Akteur die „zeitenthobene Geltung seiner Hand-
7 Jörn Rüsen, Historisches Erzählen, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik, hg. von Klaus
Bergmann/KLus FRÖHLiCH/Annette KuHN/Jörn RüsEN/Gerhard Schneider, 5. Aufl.,
Seelze-Velber 1997, S. 57-63; Jörn Rüsen, Die vier Typen des historischen Erzählens, in: Jörn
Rüsen, Zeit und Sinn. Strategien historischen Denkens, Frankfurt/Mam 1990, S. 153-230.
8 Zitate bei Rüsen, Historisches Erzählen (wie Anm. 7), S. 58 und 60 sowie Rüsen, Vier Typen
(wie Anm. 7), S. 181.
 
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