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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0251
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Albert der Große zwischen Natur, Macht und Wirkung I 247

Schriften der Peripatetiker würde zeigen, dass es ihm nicht um die Darstellung
eigener Ansichten, sondern nur um die Auslegung der Lehre der Peripatetiker
gehe. Es sei legitim zu fragen, ob seine Interpretation korrekt ist, ihn aber ohne
das Studium seiner Werke anzugreifen, sei grundlos und würde entweder durch
Hass oder Ignoranz motiviert sein.5
In seinen positiven Äußerungen über das Miteinander einer vita regularis hin-
gegen nimmt Albert Bezug auf Wünsche, Erwartungen und Verlangen seiner
Mitbrüder im Orden, die ihn zur Aufnahme seines naturphilosophischen Pro-
jektes bewogen haben sollen.6 Inwiefern aber diese Äußerungen als Tatsachenbe-
schreibung zu bewerten und nicht als ein Topos zu verstehen sind, bleibt unge-
wiss. Denn es gibt einige Hinweise darauf, dass Albert sich auch rhetorischer
Stilmittel bedienen konnte, um sein philosophisches Projekt innerhalb der Or-
denskommunität zu legitimieren und sein Ziel plausibel zu machen. Dieses Pro-
jekt, das sich nicht auf die Kommentierung und Ergänzung des Corpus Aristote-
hcum beschränkte, sondern ein komplettes System der Wissenschaften umfassen
und etablieren sollte, begann er mit der Auslegung der aristotelischen Physik um
1252 am Studium generale der Dominikaner zu Köln. Das von ihm in diesem
Rahmen erarbeitete Wissenschaftssystem, mit dem die überlieferten Wissensbe-
stände der Griechen, Araber, Juden und Lateiner in Realphilosophie (Physik
bzw. Naturphilosophie und Naturwissenschaften, Mathematik, Metaphysik),
Logik und Moralphilosophie (Ethik und Politik) eingeordnet, wissenschaftsthe-
oretisch begründet und inhaltlich erschlossen werden, weist ihn als einen der
bedeutendsten Wissenschaftssystematiker und Wissenschaftstheoretiker nach
Aristoteles aus. Im Urteil der Wissenschafts- und Philosophiehistoriker wird er
mitunter als Theoretiker wissenschaftlicher Methoden der modernen Natur-
5 Vgl. Albertus Magnus, De animalibus lihri XXVI. Nach der Cölner Urschrift, ed. Hermann
Stadler (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters XV-XVI), 2 Bde., Müns-
ter 1916-1920, hier: De animalibus XXVI.36, Bd. 2, Bücher XIII-XXVI, S. 1598.7-15; der
Text wird weiter unten in Anm. 15 zitiert. Mit ähnlicher Begründung weist Albert die Kritik
der Philosophen an der theologischen Lehre von den Höllenstrafen, welche getrennte Seelen
durch das materielle Feuer erleiden, zurück; vgl. Albertus Magnus, De XV problematibus,
VIII, ed. Bernhard Geyer, in: Sancti doctoris Ecclesiae Alberti Magni [...] Opera omnia [...]
(Editio Colomensis XVII/1), Münster 1975, S. 41.3—9: Quid ergo prohibet ignem corporeum
aprimo motore vim accipere, inquantum est instrumentum eius, quod agat inmimam anima-
li et non corporali actione velpassione? Nec aliquid talium est contra philosophiam Stoicorum
vel etiam Peripateticorum, sed talia aut ex ignorantia aut certe ex odw fideiprocedunt magis
quam exprobata verdate. Für die deutsche Übersetzung und den Kommentar zu dieser Stel-
le siehe: Albert der Große, De quindecim problematibus/Über die fünfzehn Streitfragen.
Lateinisch-Deutsch, hgg. von Henryk Anzulewicz und Norbert Winkler, übersetzt von
H. Anzulewicz, eingeleitet und kommentiert von N. Winkler (Herders Bibliothek der
Philosophie des Mittelalters 23), Freiburg/Basel/Wien 2010, S. 89, 215-223.
6 Vgl. unten Anm. 17.
 
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