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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0031
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Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)

7. Die Bannlösungsverfahren
Mit der nam-erim-bür-ru-da genannten Therapie glaubte
man ein Mittel zur ursächlichen Behandlung jener Leiden zur
Hand zu haben, die auf einen Bann zurückgeführt wurden. Ein
Bannlösungsverfahren sollte den Bann bannen und im Idealfall
den letzten, noch vor dem Körperlichen liegenden Grund des
Bann-Leidens aus der Welt schaffen, bevor ernsthafte Symptome
aufgetreten waren.
In den Korrespondenzen der spätassyrischen Könige
Enden sich direkte Belege für die Durchführung von
Bannlösungsverfahren. So ist in einem an den assyrischen
Herrscher gerichteten Schreiben von den Qualitäten eines
erfahrenen Heilers die Rede, der offenbar mit Erfolg für den
Präfekten Bel-etir bit rimki, e-gal-ku4-ra und “mänüti u
pasäri" durchgeführt hatte.235 Auch die Königsmutter hatte
sich, wie ein anderer Brief beweist, neben weiteren rituellen
Behandlungen dem dort "sa mämiti pasäru" genannten
Heilverfahren unterzogen.236 Den Kolophonen mehrerer der
hier vorgelegten Texte ist darüber hinaus zu entnehmen, daß die
Heiler von Assur die Skripte der Bannlösungsverfahren in erster
Linie aus praktischen Gründen, nämlich zur Vorbereitung der
Durchführung einer entsprechenden Therapie, abgeschrieben
hatten.237
Aus einem neuassyrischen Text aus Assur wissen wir.
daß der 7. Tag des Monats als Tag des Lösens galt.238 Daher
ist es gut möglich, daß man darauf achtete, daß auch das
Bannlösungsverfahren an einem solchen Tag durchgeführt
wurde.239 Allerdings fehlen bislang Texte, die das belegen.
Zwar galten einige der Medikamente, mit denen man schwere
physische Symptome des Bann-Leidens behandelte, als “ein
dem Königtum (vorbehaltenes) Geheimnis"240, und zweifellos
standen die Heiler von Assur den Mitgliedern des Königshauses,
die in Assur weilten, und den einflußreichen Familien der Stadt
besonders nahe. Aber dennoch ist es nicht zuletzt wegen der dem
Bann-Leiden zugeschriebenen Gefahr einer Ansteckung recht
wahrscheinlich, daß man das Bannlösungsverfahren auch für
einfachere Menschen ausrichtete. Nachrichten darüber haben
sich allerdings nirgendwo erhalten.
Im Umfeld der spätassyrischen Könige jedoch kam das
Bannlösungsverfahren wohl nicht nur dann zur Anwendung,
wenn man glaubte, daß einen Menschen der Bann “gepackt'’ hat-
te. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde es auch prophylaktisch
durchgeführt. Ein Ritualkalender sieht nämlich vor. das nam-
erim-bür-ru-da geheißene Verfahren regelmäßig an einem
bestimmten Tag im Jahr zu veranstalten, “um einen Bann fem-
zuhalten'. Als Termin dafür war der 21. Tag des zweiten Monats
im Jahr (Ajjaru = April/Mai) vorgesehen.241 Ein sehr verwandter

235 S. Parpola. SAA 10. 308. Text Nr. 371.
236 S. Parpola. SAA 10. 162-163. Text Nr. 201.
237 Text Nr. 1. Rs. 28' und Text Nr. 14. Rs. 21: “Zur Vorbereitung der
Durchführung (der Heilbehandlung) eilig exzerpiert "; Text Nr. 11. 25’:
“Um es durchzuführen, abgeschrieben ".
238 SieheKAL2. TextNr. 37. Kol. V. 11'.
239 Siehe dazu T. Abusch. D. Schwemer. CMAwR 2. 62 und A. Cavigneaux.
OrNS 76. 293-335.
240 TextNr. 70-72. 45.
241 Siehe STTNr. 300, Vs. 7 (... UD. r2D.KÄM rnanU-rerinU-rbürT-rda1
[: NA]M.ERIM ana TÜ1 TAR-wz) und Duplikate sowie J. Scurlock, AfO 51.
129-130. Vgl. ferner den an Assurbanipal gerichteten Brief SAA 10. Text
Nr. 89 (1904-10-9, 191 = ABL 1397), in dem sich der königliche Berater
und Priester des Assur-Tempels Akkullänu darüber beklagt, daß die monat-

spätbabylonischer Text lehrt darüber hinaus, daß das Bannlö-
sungsverfahren aufgrund dieses Datums mit dem Stemzeichen
Wassermann (mulGU.LA) in Verbindung gebracht wurde.242
Die schriftliche Fixierung des Ablaufs der nam-erim-
bür-ru-da genannten Therapie kam erst im ausgehenden
zweiten vorchristlichen Jahrtausend in Gang. Das von den
Heilem praktizierte Verfahren der Bannlösung dürfte gleichwohl
erheblich älter sein.243 Hiervon zeugt nicht zuletzt die recht gute
sprachliche Qualität der zahlreichen sumerischen dicenda, die
von der Lösung eines Banns handeln.
Indem nam-erim-bür-ru-da-‘Leitfaden’ (TextNr. 1-2)
sind - jeweils gemeinsam mit den zugehörigen dicenda -
zahlreiche zum Zweck der Bannlösung empfohlene
Maßnahmen in der Reihenfolge ihrer vorgesehenen
Durchführung aufgelistet.244 Den Tontafeleditionen mit den
dicenda der Bannlösungsverfahren (Texte Nr. 16-47) liegt im
wesentlichen der gleiche Therapieablauf zugrunde, denn dort
sind die Rezitationen in der Regel in eben der Reihenfolge
zusammengestellt, die durch den ‘Leitfaden’ vorgegeben ist.
Die altorientalischen Heiler überlieferten daneben aber auch
Beschreibungen von Bannlösungsverfahren, die in Inhalt
und Aufbau deutlich von der aus dem ‘Leitfaden’ bekannten
Tradition abweichen (Therapiebeschreibungen 1-6 = Texte
Nr. 3-15). Bei der Ausgestaltung des Heilverfahrens dürfte
daher eine nicht zu unterschätzende Gestaltungsfreiheit
bestanden haben. Überdies wird ein Bannlösungsverfahren nicht
immer in der Ausführlichkeit und mit dem Aufwand vollzogen
worden sein, wie es der ‘Leitfaden’ zu verlangen scheint. Es
liegt nahe, daß die Heiler für weniger vornehme und weniger
zahlungskräftige Kunden eine auf das Wesentliche reduzierte,
kostengünstigere Behandlung anboten. Daher erscheint es
weder sinnvoll noch möglich, an dieser Stelle einen Hergang
des Bannlösungsverfahrens zu rekonstruieren, der Ansprach
auf Allgemeingültigkeit erheben kann. Vielmehr soll im
folgenden ein Überblick über die konstitutiven Elemente eines
Therapieverlaufs gegeben werden.
Die Heiler lehrten, in dem Verfahren “mit der Autorität
des (Weisheitsgottes) Ea und den Künsten (seines Sohnes)
Asalluhi”245 zu wirken und in ihren Therapien lediglich das zu
wiederholen, "was (dereinst) Ea und Asalluhi (selbst) getan.’’246
Die von ihnen praktizierten, upsasü-^1 genannten Verfahren
und Techniken der Unheilsbeseitigung führten sie ebenso wie
die damit eng verknüpften Gebete. Sprüche und exorzistischen
Formeln unmittelbar auf den Weisheitsgott und seinen Sohn
zurück, der der Überlieferung zufolge als ‘Heiland’ das Wissen
des göttlichen Vaters auf Erden zum Heil der Menschen einsetzt

liehe (prophylaktische) Durchführung von rihiellen Verfahren der Unheils-
abwehr vernachlässigt wurde.
242 BRM 4. Nr. 20. Vs. 4. Siehe auch A. Ungnad. AfO 14. 258 und M. J. Geller.
Melothesia. 28. In dem gleichen Text (BRM 4. Nr. 20. Vs. 2) wurde -
gewiß nicht zufällig - der Himmelsregion “Wassermann” die “(riüielle)
Rechtsumkehnmg" (DI.BAL.A = dipalü) zugeordnet. Ebendies. nämlich
die Revision eines göttlichen Urteils und dessen Umkehrung, ist die
grundlegende Intention eines Bannlösungsverfahrens.
243 Siehe dazu auch oben S. 5f. mit Anm. 36.
244 Zu den Einzelheiten siehe die in diesem Buch vorgelegte Textbearbeiümg
(Text Nr. 1-2) und die zugehörigen Kommentare.
245 Text Nr. 3. 23 (ina narbt sa Ea ina npsase sa Asalluhi). Siehe auch Text
Nr. 4-10. 47-49 und 53-55; Text Nr. 48-51. 54. 56 und 62 und Text Nr. 54.
13’.
246 Text Nr. 48-51. 63. siehe auch ebd.. 45.
247 Siehe Anm. 245.
 
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