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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0367
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Die Trugwahrnehmungen

Gedanken vorspricht. Sonst keine somatische oder psychische Veränderung. Im rechten äuße-
ren Gehörgang - rechts waren die Stimmen deutlicher - fand sich ein Wattepfropf und wurde
entfernt. Danach hörten die Halluzinationen auf. - Auch Koppe berichtet von Fällen, in denen
Beseitigung des Ohrleidens die Stimmen zum Verschwinden brachte.
Über weitere solche Fälle vgl. besonders die Arbeit Uhthoffs, Traugott676 (Halluzination bei
Katarakt). Alzheimer S. 477,677 Koppe, Redlich und Kaufmann,678 Bonhoeffer S. 16 (Bedeutung
peripherer Endorgane für die Sinnestäuschungen der Deliranten).679 Charakteristisch sind die
Halluzinationen, die bei Tabes vorkommen. Darüber zusammenfassend Bouzigues.680
In allen diesen Fällen ist ein Zusammenhang mit den Vorgängen im peripheren Sin-
nesapparat kaum zu leugnen. Auf der andern Seite warnt Uhthoff davor, die Häufig-
keit peripherer Augenveränderungen als Ausgangspunkte für Halluzinationen zu über-
schätzen. Gegenüber derartigen Behauptungen meint er: »Ich kann auf Grundlage
meiner langjährigen regelmäßigen ophthalmoskopischen Untersuchungen von Gei-
steskranken diese Angaben nicht bestätigen, finde sogar, daß die Fälle gar nicht beson-
ders häufig sind, wo man mit Sicherheit bestimmte pathologische Augenveränderun-
gen für die Entstehung von Gesichtshalluzinationen verantwortlich machen kann.«681
Ähnliche Einwände, glaubt er, müsse man gegen Redlich und Kaufmann bezüglich
der Abhängigkeit der Halluzinationen von Ohrerkrankungen machen.
In den geschilderten Fällen ist ein Zusammenhang mit den Vorgängen im periphe-
ren Sinnesapparat vorhanden. Umgekehrt sind auch Halluzinationen beobachtet bei
Fehlen der peripheren Sinnesorgane, bei völliger Blindheit und Taubheit. Wie weit in sol-
277 chen Fällen periphere Reize in der Art der vorigen | Fälle noch mitspielen ist nicht
immer zu entscheiden. Ob sie in irgendeinem Falle völlig ausgeschlossen werden kön-
nen, ist wohl zweifelhaft. (Vgl. Esquirol, der die Tatsache zuerst konstatierte,682 Joh.
Müller S. 32-34, Griesinger S. 88, Hagen S. 62 ff., Uhthoff S. 255 ff., Berger und
Saenger im Anschluß an den Vortrag von Kleist S. 914.683 Einen Fall vollständiger
Taubheit mit Gehörshalluzinationen siehe z.B. Koppe S. 50 ff.).
(Abhängigkeit von Vorgängen im Sinnhirn.) Ebenso wie bei Erkrankungen des periphe-
ren Sinnesapparats sind Gesichtshalluzinationen bei Erkrankungen des Occipitallap-
pens beobachtet worden. Hierfür sind besonders die hemianopischen684 Halluzinatio-
nen bemerkenswert (über diese besonders Henschen685 und Uhthoff; vgl. später
S. 339). Auch plötzliche Lichterscheinungen sind bei Zerstörung des Occipitallappens
aufgetreten. Der Kranke Schirmers686 sah eines Tages im 74. Jahre, als er vom Spazier-
gang heimkehrte, plötzlich Feuer vor den Augen und war von dem Moment an blind,
konnte nicht mehr hell und dunkel unterscheiden. Analoge Beobachtungen bezüglich
anderer Sinnesflächen in ähnlich beweisender Form sind nicht beschrieben. Es handelt
sich z.B. um wirre Geräusche, Maschinensausen u. dgl. bei traumatischer Epilepsie. Ob
Geruchsempfindungen bei Tumoren, die den Lobus olfactorius687 drücken (Christian),688
zu den Halluzinationen gestellt werden dürfen, ist wohl zweifelhaft. Sie stehen zu Licht-
erscheinungen bei peripheren Affektionen des Auges in Parallele.
 
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