Metadaten

Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0010
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Einleitung des Herausgebers

IX

sind drei Rufe allein in den 1920er Jahren15 kein Ausdruck von Desintegration. Gleich-
wohl fühlte Jaspers sich fremd im universitären Betrieb verselbständigter Fachdiskurse:
»Die Professorenphilosophie war, wie mir schien, keine eigentliche Philosophie, son-
dern [...] durchweg ein Erörtern von Dingen, die für die Grundfragen unseres Daseins
nicht wesentlich sind.«16 Man hat hinter solchen Bemerkungen häufig die Blaupause
eines Gegenprogramms vermutet: der sogenannten >Existenzphilosophie<. Als außer-
akademische Protestbewegung ist sie bereits von Zeitgenossen wahrgenommen wor-
den. »Nun wohl«, urteilte Helmuth Burgert, »die ganze Existenzphilosophie ist nichts
als die äußerste Gegenwirkung auf eine akademisch lebensferne, in phänomenfremden
Begriffen verhärtete Philosophie, ist Widerpart der person-auslöschenden, all-versach-
lichenden Systeme, in denen der einzelne Mensch nur Schauplatz des Allgemeinen,
Werkzeug des Ganzen, Stätte der Wertverwirklichung, Marionette des Absoluten war.«17
An der akademischen Philosophie jedoch störte Jaspers, selbst Hochschullehrer »mit
Leidenschaft«,18 nicht das Akademische, sondern die Philosophie: die Überzeugung, auf
eigene Rechnung zu philosophieren, ob in phänomenfremden oder anschaulichen Be-
griffen, gehöre zur Berufsidee des Philosophieprofessors. »Der Philosophie ist ein Beruf
zugeordnet, aber nur als >Lehre<«/9 und nur in einer Nische kam deshalb die Figur des
Professors in Jaspers' Philosophiegeschichte vor, dort unter der bezeichnenden Rubrik
»der Professor als Vermittler«.20 Selbstdenken in Konkurrenz zu den großen Philosophen
erschien Jaspers sozusagen als Amtsmissbrauch, und dahinter stand ein für ihn charakte-
ristisches Ethos: Keine neue Philosophie schaffen zu wollen. Jaspers kam es vielmehr da-
rauf an, »den Raum [zu] bewahren, in dem gedacht wird«, »hinführen zu den Großen«21
- durchaus (wie sonst?) im akademischen Stil der »Beschäftigung mit Büchern, mit Inter-
pretieren und intellektuellen Diskussionen«.22 Seine Kritik der Schulphilosophie setzte
erst ein, wo Fachkompetenz mit dem Anspruch auftrat, der Tradition überlegen zu sein.
Denn damit ging Substanz verloren: das humanistische Erbe einer Metaphysik, die im
Denken »die Wirklichkeit des Menschseins [...] zum Selbstverständnis brachte«.23 Die

15 - nach Kiel, Greifswald und Bonn, vgl. Chr. Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Wei-
marer Republik und im Dritten Reich. Teil 1, Berlin 2002, 94, 105 und 262-263.
16 Philosophische Autobiographie, 40.
17 H. Burgert: »Karl Jaspers' Philosophie der hochgemuten Verzweiflung«, Die Schildgenossen 14 (1935)
280-285,280.
18 »Mein Weg zur Philosophie«, 389.
19 Die großen Philosophen. Nachlaß 2, 1016.
20 Ebd., 1017.
21 Ebd.
22 »Nachwort (1955) zu meiner »Philosophie« (1931)«, XX-XX1.
23 »Über meine Philosophie«, 396; vgl. unten S. 27: »im Philosophieren [...] unsere wirklichen, d.h.
das Menschsein in uns hervorbringenden Gedanken zu vollziehen«. - Seitenzahlen ohne weitere
Angaben beziehen sich auf die vorliegende Edition.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften