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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0011
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Einleitung des Herausgebers

Antwort auf den Verlust der Lebensbedeutsamkeit, den Husserl, vor ihm bereits Kra-
cauer24, als Krise der Wissenschaften beschrieben hatte, lag für Jaspers nicht in der Ver-
kündung eines Neuanfangs, sondern in der Wiederaneignung »der lebendigen hohen
Praxis vergangenen Denkens«. »Keineswegs meinte ich, eine neue Philosophie brin-
gen zu können oder zu sollen. [...] Für die Aufgabe hielt ich vielmehr, die Größe und
das Wesen der Philosophie wieder zum Leben zu bringen.«25 »Ich fühle mich [...] im
Dienste der Großen«, bekräftigt er Heidegger gegenüber. »Meine Philosophie will, wie
irgendwo darin gesagt ist, Organon der Aneignung dieser Großen sein, nicht mehr.«26
Ressortübergreifend hat Jaspers eine ganze Reihe von Kriterien der »Größe«
entwickelt,27 wichtig sind besonders Normativität und Universalität. Im normativen
Sinne besitzt Größe Vorbildlichkeit, »groß« ist, woran wir uns orientieren können
und in komplexen Prozessen der Kanonisierung, der kulturellen Produktion und Re-
produktion von Autoritäten immer irgendwie orientieren. Als »groß« im universalen
Sinne gilt andererseits jede Verkörperung, Veranschaulichung oder Repräsentation
des Weltganzen28 - sei es »nur« in der Zeile eines Gedichts. Universale Größe ist not-
wendige Bedingung normativer Größe: Orientierung kann nur bieten, was uns Auf-
schluss gibt über die »Stellung des Menschen im Kosmos«. Diesen Aufschluss leisten
nach Jaspers Kunst und Literatur, die großen Erzählungen mythischer und religiöser
Provenienz - und die großen Philosophen. »Sie sind Denker, die [...] im Mittel der Be-
griffe und der Operation mit Begriffen zu dem kommen, was jeder Größe eignet. In ih-
nen gelangt das Denken dorthin, wo es auch sich selber denkt und darin zu erfahren
meint, was das Sein im Ganzen sei.«29 In begrifflicher Form nimmt die Philosophie da-
mit die »Wirklichkeit des Menschseins« zurück in das Sein im Ganzen und erschließt so
das Eigentümliche dieser Wirklichkeit - dass sie in einem Verhältnis zum ganzen Sein

24 S. Kracauer: »Die Wissenschaftskrisis. Zu den grundlegenden Schriften Max Webers und Ernst
Troeltschs« [1923], in: Aufsätze 1915-1926. Schriften 5.1, Frankfurt a.M. 1990, 212-222.

25 »Nachwort (1955) zu meiner »Philosophie« (1931)«, XX; vgl. Provokationen, 44: »Ich habe nie auch
nur an die Möglichkeit einer neuen Philosophie gedacht, sondern an die Verwirklichung der ewi-
gen Philosophie in den Erscheinungen und Kleidern und unter den Daseinsbedingungen unse-
rer Zeit.« - Das schließt natürlich Entwicklungen in Jaspers' Denken nicht aus, die er übrigens als
wenig spektakulär veranschlagte, vgl. Philosophische Autobiographie, 122-123 (»niemals Wandlun-
gen«, »kein Bruch, keine Krise«).

26 K. Jaspers an M. Heidegger, 23. Dezember 1931, Briefwechsel 1920-1963, 147.

27 Vgl. Die großen Philosophen, 29-41 und bereits Philosophie 11, 403-414. Die Kriterien sind für Jaspers
Kriterien menschlicher Größe, aber nicht »großer Menschen« (J. Habermas: »Die Gestalten der
Wahrheit«, in: Philosophisch-politische Profile. Erweiterte Ausgabe, Frankfurt a.M. 1987, 87-96, 94),
vgl. Die großen Philosophen, 30 zum »objektiven Charakter« der »im Medium von Leistung, Werk,
Tat, Schaffen« exemplarisch verwirklichten Größe: »Unersetzlichkeit [...] hat Größe noch nicht
als das Individuum in der Besonderheit eines Soseins.«

28 Vgl. Die großen Philosophen, 35: »Bezug auf das Weltganze«.

29 Ebd.
 
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