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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0023
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XXII

Einleitung des Herausgebers

Aber ihr okkasioneller Charakter wertet die Groninger und die Frankfurter Vorle-
sungen nicht ab. Es sind einmal nicht die »stattlichen Volumina« (Henrich), in denen
Jaspers sich mitteilt, sondern Konzentrate. In Vernunft und Existenz und in der Existenz-
philosophie fehlt vieles, vieles bleibt nur Andeutung, was Jaspers später ausgeführt und
nachgetragen hat. Dafür bieten sie einen direkten, kompendiös unverstellten Blick auf
die Leitgedanken einer existenzphilosophisch grundierten Erneuerung der Metaphy-
sik: die Lehre vom Umgreifenden und den philosophischen Glauben.
3. Intentionalität und Transzendenz
Zeitgeschichte lässt sich nicht planen. So war die in Groningen und Frankfurt vorge-
tragene Periechontologie zunächst gar nicht als Antwort auf die neuen Verhältnisse
gedacht. Das Interesse an einer Tieferlegung der Fundamente ergab sich aus offenen
systematischen Fragen, nicht aus politischen Motiven. Erste Überlegungen (und wohl
auch Manuskripte) für eine philosophische Logik datieren bereits Anfang der 1930er
Jahre:82 »Ich hatte damals kaum Kenntnisse des Nationalsozialismus.«83 Das änderte
sich, gezwungenermaßen. Und selbst wenn Von der Wahrheit rückblickend als ein
Dokument des Widerstands gelesen werden konnte84 - solange Jaspers öffentlich re-
den durfte, ging er Konfrontationen aus dem Weg und beschränkte sich auf das, »was
man gefahrlos sagen konnte: nur Philosophie«.85 Der Abstraktionsgrad, den die Analy-
sen zum Umgreifenden erforderten, kam dem entgegen. Ihr Formalismus freilich sollte
gerade das treffen, »was an Bedeutung das Lebensnächste« sei: »Die Philosophie, wo
sie gelingt, ist jenes einzige Denken, in dem logische Abstraktheit und wirkliche Ge-
genwart gleichsam identisch werden.«86
Eingeführt wird der Begriff des »Umgreifenden« in einer Vorlesung vom Winter-
semester 1931/32,87 als Arbeitshypothese, wie man annehmen muss, um älteres Mate-
rial zur »Subjekt-Objekt-Beziehung« auf den Problemstand der Philosophie abzubilden.

82 In einer Tagebuchaufzeichnung anlässlich eines Besuchs in Heidelberg notierte sich Jaspers' Mut-
ter Henriette schon 1929: »Karl giebt 3 Bände heraus eigentl. Buch / 11 Philosophie / 1 1000. Gö-
schenband: die geistige Situation der Zeit / 111 Logik« - die Aufzählung 11, 1, 111 betrifft offensicht-
lich die geplante Reihenfolge der Publikationen.

83 Die geistige Situation der Zeit, 194 (»Geleitwort zur Ausgabe 1946«).

84 H. Blücher an H. Arendt, 14. Februar 1950: »Es ist mir [...] ein innig tröstender Gedanke, daß ge-
rade dieses Werk im Deutschland der Hitlerzeit herausgearbeitet worden ist. Denn es ist jedenfalls
die eigentlich metaphysische und damit größte und zentrale Leistung der Resistance. Die edelste
und beste Kraft der abendländischen Philosophie wird hier der Gefahr entgegengestellt, und da-
bei gesichert, was ihr bleibender, ihr ewiger Wert ist« (Briefe 1936-1968, hg. und mit einer Einfüh-
rung von L. Köhler, München und Zürich 1999,210).

85 S. 160.

86 S. 27.

87 Philosophische Autobiographie, 86; vgl. Stellenkommentar Nr. 121.
 
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