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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0026
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Einleitung des Herausgebers

XXV

Fichtes oder Schellings durchgespielt. Für ihn war klar, dass das Subjekt/Objekt-Um-
greifende nur »auf dem von Kant eröffneten Weg«97 liegen konnte, d.h. im Rekurs auf
ein »Bewußtsein überhaupt«, dessen Selbstbezüglichkeit (»Bewußtheit«) mit den ka-
tegorialen Formen von Gegenständlichkeit konvergierte. Bewusstsein überhaupt ist
kein Gegenstandsbewusstein, weil es keine Inhalte aufweist, intentional »leer« ist. Es
ist dennoch kein reines Ich, sondern, nach dem Grundgesetz der Intentionalität: Kein
Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt,98 Bewusstsein von >etwas< - der korre-
lativen Formen von Gegenständlichkeit überhaupt. Präsent in der Subjekt-Objekt-Be-
ziehung ist das sie Umgreifende dann in der Gestalt, dass jedes individuelle Bewusst-
sein teilhat am Bewusstsein überhaupt.
Doch auf Anhieb provozierte der Kantische Weg mehr Fragen als er beantwortete.
Denn die Teilhabe am Umgreifenden des Bewusstseins überhaupt durfte offensicht-
lich nicht wiederum als ein Verhältnis von Subjekt und Objekt gefasst werden, was zu
einem Regress führen würde. Sie verlangte vielmehr - im Medium des Gegenstands-
bewusstseins - ein Transzendieren des Gegenstandsbewusstseins selbst. Ein höherstu-
figes Transzendieren also als das intentionalitätsübliche Transzendieren des Subjekts
zum Objekt, höherstufig aber so, dass es dem Transzendieren des Subjekts zum Objekt
nicht aufgestockt, vielmehr in ihm immer schon vollzogen war. In der Psychologie der
Weltanschauungen folgt Jaspers zunächst der Intuition, dass das Phänomen des Lebens
und der »lebendige Prozeß« genau diese komplexe Struktur verkörpert, in der wir, als
Subjekte auf Objekte gerichtet, das Gegenstandsbewusstsein zugleich transzendieren.
Die Innovation der Psychologie der Weltanschauungen im Vergleich zur Psychopatho-
logie bestand so gesehen vor allem darin, über eine erlebniszentrierte Beschreibung
des Gegenstandsbewusstseins hinaus das Seelenleben als »weltanschaulich gefaßtes
Leben« zu interpretieren.99 Einzelne Erlebnisse sind nur die Mikrobausteine einer sie
übergreifenden Biographie, und jedes Leben verläuft im Rahmen einer bestimmten
Weltanschauung. Im Sinne dieses neuen Ansatz' transferiert Jaspers die Subjekt-Ob-
jekt-Beziehung nun auf die das Leben prägende Weltanschauung; Weltanschauungen
wiederum kombinieren Weltbilder und Einstellungen.100 Während Einstellungen, wie
die aristotelischen ßioi, »generelle Verhaltungsweisen« sind, mögliche Standpunkte
quasi des Lebens, betreffen Weltbilder »die Gesamtheit der gegenständlichen Inhalte, die
ein Mensch hat«.101 Als Horizonte umschließen sie die Summe der Objekte - Typen
von Objekten -, die in den Gesichtskreis eines Subjekts fallen, und perspektivieren

97 S. 3I.

98 Vgl. Philosophie I, 43.

99 »Das weltanschaulich gefaßte Leben spielt in der Subjekt-Objektspaltung«, Psychologie der Welt-
anschauungen, 280.

iooEbd., 42.

101 Ebd., 141.
 
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