XXX
Einleitung des Herausgebers
4. Leben im Umgreifenden
»Daß wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen.«12°
Die Psychologie der Weltanschauungen hatte die Frage nach dem Subjekt/Objekt-Um-
greifenden lebensweltlich beantwortet, war jedoch, im Verhältnis von Seele und
Welt, nicht über das intentionale Transzendieren des Subjekts zum Objekt hinausge-
kommen. Die Philosophie setzt gleich beim »eigentlichen Transzendieren«121 an, das als
»Hinausgehen über das Gegenständliche ins Ungegenständliche« dem Sachverhalt Rech-
nung tragen sollte, dass das weltanschaulich gefasste Leben im Glauben an einen trans-
zendenten Grund des Selbstseins verankert ist. Mit dem Gegenständlichen drohte das
eigentliche Transzendieren aber auch die Objektivität der Lebensordnungen zu über-
steigen, wodurch das lebensweltlich konturierte Verhältnis des Einzelnen zum Allge-
meinen zur bloßen Folie der Erscheinung von Transzendenz verblassen musste: Von
der »Objektivität der Gesellschaft« sagt Jaspers ausdrücklich, sie werde, »wo ich ei-
gentlich in ihr wirklich bin«, »Schauplatz möglichen Existierens und Erscheinung ei-
ner Transzendenz«.122
Die Marginalisierung der Lebensordnungen quasi zur Bühne möglicher Existenz
konnte folgerichtig wirken, weil im komplexen Gefüge der verschiedenen Vollzugs-
modi des Transzendierens das existenzerhellende Transzendieren für die Philosophie
den Vorrang besaß. Er begründete sich daraus, dass nur in der Existenz ein unmittel-
barer, obgleich unmitteilbarer Bezug zur Transzendenz gegeben war. Was systemati-
sche Probleme nach sich zog. Denn weshalb sollte nicht auch das Transzendieren in
der Weltorientierung und in der Metaphysik jeweils zu einem eigenen Begriff von Tran-
szendenz, und damit des absoluten Seins führen - das Transzendieren in der Weltori-
entierung zur Welt >an sich<, das Transzendieren in der Metaphysik zu Gott?123 Die Son-
derstellung des existenzerhellenden Transzendierens hatte außerdem zur Folge, das
transzendierende Subjekt auf die individuelle Existenz zu verengen, die als eigentli-
ches Selbst zu sich findet. Weder das weltorientierende noch das metaphysische Tran-
szendieren sind jedoch in dieser Emphase Formen der Selbstbeziehung. Sie sind Denk-
versuche, die nicht, jedenfalls nicht direkt, auf eine Praxis der Eigentlichkeit abzielen.
120 Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen [1966], München 1967, 6.
121 Philosophie I, 38.
122 Philosophie II, 363.
123 Instruktiv sind die Überlegungen, die Jaspers selbst dazu anstellt - und ihre Abhängigkeit von einer
(bloß terminologischen?) Unterscheidung zwischen Gott und Gottheit: »Die Gottheit als formale
Transzendenz« (Philosophie 111, 66-67). In Von der Wahrheit räumt er ein, es sei »möglich, jede Weise
des Umgreifenden eine Transzendenz zu nennen, nämlich gegenüber jedem in diesem Umgreifen-
den faßbar Gegenständlichen« und unterscheidet davon noch einmal die Transzendenz im stren-
gen Sinn als »das Umgreifende schlechthin, das Umgreifende alles Umgreifenden« (109).
Einleitung des Herausgebers
4. Leben im Umgreifenden
»Daß wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen.«12°
Die Psychologie der Weltanschauungen hatte die Frage nach dem Subjekt/Objekt-Um-
greifenden lebensweltlich beantwortet, war jedoch, im Verhältnis von Seele und
Welt, nicht über das intentionale Transzendieren des Subjekts zum Objekt hinausge-
kommen. Die Philosophie setzt gleich beim »eigentlichen Transzendieren«121 an, das als
»Hinausgehen über das Gegenständliche ins Ungegenständliche« dem Sachverhalt Rech-
nung tragen sollte, dass das weltanschaulich gefasste Leben im Glauben an einen trans-
zendenten Grund des Selbstseins verankert ist. Mit dem Gegenständlichen drohte das
eigentliche Transzendieren aber auch die Objektivität der Lebensordnungen zu über-
steigen, wodurch das lebensweltlich konturierte Verhältnis des Einzelnen zum Allge-
meinen zur bloßen Folie der Erscheinung von Transzendenz verblassen musste: Von
der »Objektivität der Gesellschaft« sagt Jaspers ausdrücklich, sie werde, »wo ich ei-
gentlich in ihr wirklich bin«, »Schauplatz möglichen Existierens und Erscheinung ei-
ner Transzendenz«.122
Die Marginalisierung der Lebensordnungen quasi zur Bühne möglicher Existenz
konnte folgerichtig wirken, weil im komplexen Gefüge der verschiedenen Vollzugs-
modi des Transzendierens das existenzerhellende Transzendieren für die Philosophie
den Vorrang besaß. Er begründete sich daraus, dass nur in der Existenz ein unmittel-
barer, obgleich unmitteilbarer Bezug zur Transzendenz gegeben war. Was systemati-
sche Probleme nach sich zog. Denn weshalb sollte nicht auch das Transzendieren in
der Weltorientierung und in der Metaphysik jeweils zu einem eigenen Begriff von Tran-
szendenz, und damit des absoluten Seins führen - das Transzendieren in der Weltori-
entierung zur Welt >an sich<, das Transzendieren in der Metaphysik zu Gott?123 Die Son-
derstellung des existenzerhellenden Transzendierens hatte außerdem zur Folge, das
transzendierende Subjekt auf die individuelle Existenz zu verengen, die als eigentli-
ches Selbst zu sich findet. Weder das weltorientierende noch das metaphysische Tran-
szendieren sind jedoch in dieser Emphase Formen der Selbstbeziehung. Sie sind Denk-
versuche, die nicht, jedenfalls nicht direkt, auf eine Praxis der Eigentlichkeit abzielen.
120 Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen [1966], München 1967, 6.
121 Philosophie I, 38.
122 Philosophie II, 363.
123 Instruktiv sind die Überlegungen, die Jaspers selbst dazu anstellt - und ihre Abhängigkeit von einer
(bloß terminologischen?) Unterscheidung zwischen Gott und Gottheit: »Die Gottheit als formale
Transzendenz« (Philosophie 111, 66-67). In Von der Wahrheit räumt er ein, es sei »möglich, jede Weise
des Umgreifenden eine Transzendenz zu nennen, nämlich gegenüber jedem in diesem Umgreifen-
den faßbar Gegenständlichen« und unterscheidet davon noch einmal die Transzendenz im stren-
gen Sinn als »das Umgreifende schlechthin, das Umgreifende alles Umgreifenden« (109).