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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0034
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Einleitung des Herausgebers

XXXIII

sehen Funktionen, die gattungsspezifisch festgelegt sind: Tiere agieren nicht in dem
Sinne intersubjektiv, dass ihr Verhalten durch Pro- oder Contra-Stellungnahmen zu
den Bedürfnissen anderer »Mittiere« motiviert wäre - was eine instinktunabhängige,
»objektive« Repräsentation dieser Bedürfnisse voraussetzte.
Spezifisch für menschliche Gemeinschaften sind dagegen Interaktionen, in denen
Handlungen und Haltungen immer schon dadurch koordiniert sind, dass die Sub-
jekte, auf der Ebene des Daseins: ihre Wünsche und Absichten, auf der Ebene des Be-
wusstseins überhaupt: ihre Weltsicht, auf der Ebene des Geistes: ihre Überzeugungen,
wechselseitig verstehen. Wir wissen, prinzipiell, was die anderen empfinden, denken,
wollen und wir können, prinzipiell, die ihnen relevanten Normen, Ethoi und Ideen
nachvollziehen. Wissen oder nachvollziehen bedeutet nicht billigen und anerkennen.
Im Gegenteil: Weil uns die anderen verständlich sind - und wir ihnen - verfängt sich
das Miteinander umso leichter in Konkurrenz. Ausgetragen wird die Konkurrenz auf
verschiedenen Stufen der Kommunikation, denen jeweils ein anderes Verständnis von
Wahrheit zugrunde liegt.128 Wahr ist, im Daseinskampf, was sich pragmatisch bewährt,
im argumentativen Diskurs des Bewusstseins überhaupt, was richtig, und schließlich
im Streit der Geister, was überzeugend ist. Die genannten Kriterien schlichten natür-
lich nicht als solche schon den Konflikt darüber, worin im Einzelfall das Nützliche,
Richtige oder Überzeugende besteht - wer »Recht hat«. Aber sie kanalisieren diesen
Konflikt in einer diskursiven Form, in der er, selbst polemisch zugespitzt, Ausdruck
des sprachlich geteilten In-der-Welt-seins bleibt.
Akut wird allerdings mit der Ausdifferenzierung der Weisen des Umgreifenden, die
wir sind, und der Formen der Kommunikation, in denen wir uns mitteilen, die Frage
nach ihrer Einheit: Eben hier nimmt Jaspers das metaphysische Motiv des Einen pe-
riechontologisch auf. Wie bereits der erste Schritt zeigte, können wir transzendierend
zwar ein Umgreifendes, nicht aber das Umgreifende als Eines denken. Vielmehr gilt von
den subjektiven Weisen des Umgreifenden - Bewußtsein überhaupt, Dasein und Geist -
wie vom objektiv Umgreifenden der Container-Welt, dass sie sich dem transzendieren-
den Denken wechselseitig als immanente Weisen präsentieren, sofern einmal das Be-
wusstsein die Welt, andererseits die Welt das Bewusstsein umgreift. Das Eine, wenn es
ist, muss deshalb dem transzendierenden Denken selbst noch vorausliegen, so, dass es
die Immanenz der im Denken erschlossenen Weisen des Umgreifenden übersteigt und
sie zugleich als verschiedene Formen von Kommunikation integriert. Beides zusam-
mengenommen ergibt, auf Programm, die Verbindung von Vernunft und Existenz: das
Eine der Weisen des Umgreifenden zeigt sich erst im Überschreiten ihrer Immanenz,
und ein solches Überschreiten kann nicht mehr das Denken, sondern erst die Existenz
leisten - dritter Schritt. Die existentiell erfahrene, nicht bloß gedachte Transzendenz dient

128 Vgl. auch Stellenkommentar Nr. 154.
 
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