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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0119
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58

Vernunft und Existenz

88 liehen, | weil geschichtlichen, sich wesentlich nie wiederholenden Selbstseins und der
unbedingten Bindung dieser geschichtlichen Menschen aneinander. -
In der existentiellen Kommunikation nun ist Vernunft das Alldurchdringende. Der
Boden der Existenz trägt in seiner Tiefe das Organ, das, in allen Weisen des Umgreifen-
den gegenwärtig, das universale Band sowohl wie die aus jeder Verfestigung treibende
Unruhe ist. Als Vernunft, welche ihre Substanz in der Existenz hat, erfolgt die eigentli-
che Mitteilung von Wesen zu Wesen, und zwar so, daß Daseinswirklichkeit, Bewußt-
sein überhaupt und Geist gleichsam der Leib ihrer Erscheinung sind; keinen Augen-
blick ist sie ohne diese; sie alle werden von ihr bewegt und verwandelt.
Vernunft ist die mögliche Existenz, die denkend ständig auf das Andere, auf das Sein,
das nicht wir selbst sind, gerichtet ist, auf Welt und Transzendenz. Was diese sind, soll
mitteilbar172 und damit erst Sein für uns werden, aber in der Wesentlichkeit, durch die
sie die Existenz eigentlich angehen. Vernunft ist im Dasein, im Bewußtsein überhaupt,
im Geiste gegenwärtig als grenzenloses Vorantreiben. Keine Weite tut ihr genug: als lei-
denschaftliches Wissenwollen in der Weltorientierung kommt sie an kein Ende. Wie
Existenz an ihrer Transzendenz strandet, wird durch sie hell. Sie geht in die Richtung ei-
ner Durchsichtigkeit allen Seins in ihr selbst, um am schlechthin Undurchsichtigen den
Stoß zu erfahren, der als solcher in Wahrheit nur der klarsten Vernunft zugänglich ist.
Der Gehalt des durch Vernunft gegenwärtigen Anderen ist zugleich das Maß für die Tiefe
der dadurch möglichen Kommunikation und für das Wesen des sich darin verwandeln-
den, in eine unabsehbare Mannigfaltigkeit seines Rangs sich ausbreitenden Menschen.
89 Dem Wort Vernunft ist sein hoher Sinn zu bewahren. Es | darf nicht zurücksinken
in bloße Verständigkeit, Geistigkeit, Daseinsnotwendigkeit. Aber sein [Sinn] 173 ist nicht
unmittelbar auszusprechen oder in fester Bestimmtheit aufzuzeigen, sondern nur in
der Bewegung einer philosophischen Logik.
Erst wo in der Kommunikation dieses gar nicht Objektivierbare, in keine Argumen-
tation direkt Hineinzunehmende des Vernunftursprungs verläßlich gegenwärtig
bleibt, wird die Kommunikation ursprünglich und unbeschränkt; sie ist das Wahrsein
selbst, der totale Kommunikationswille. -
Während der Mensch überall sonst als etwas auftritt, das scheinbar selbst ist und
außerdem sich mitteilt, sich also vom Mitgeteilten in den drei Weisen des Umgreifen-
♦ den auch noch wieder distanziert, ist als Vernunft und Existenz das Sein und das In-Kom-
munikation-Sein dasselbe, der Mensch wirklich er selbst.
Daß der Mensch immer auch noch sich in Reserve hält, gleichsam über dem
schwebt, was er weiß, tut, ist, hat irgendwo seine Grenzen, wenn er nicht nichts ist
♦ oder nur der formelle leere Punkt dieses Schwebens. Es ist die Grenze dort, wo er selbst
ist; er selbst ist er als Vernunft und diese nur als mögliche Existenz. Darum sind aber
auch Vernunft und Existenz nicht wie die Weisen des Umgreifenden zu objektivieren.
Im Transzendieren des Gedankens zu Vernunft und Existenz wird nichts erreicht als
 
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