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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0141
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8o

Vernunft und Existenz

Wie ich mein Wissen weiß, das ist daher von seinem Anfang her eine der Grundfra-
gen des Philosophierens. Es ist das Selbstbewußtsein der Vernunft.
Die Loslösung vom endlich Gewußten durch Wissen um dieses Wissen bringt so-
wohl dem bestimmt Gewußten erst eigentlich nah und befreit auch die Existenz zu-
gleich vom bloß Gewußten, in das als das Sein sie sich jederzeit zu verlieren droht. Das
Durchdringende dieses Wissens vom Wissen öffnet allein das Seinsbewußtsein täu-
schungslos für die immer gegenwärtige Transzendenz.
Das Wissen des Wissens von Aristoteles199 bis zum transzendentalen Denken Kants
geht nun aber in der Folge selbst in zwei typische Irrungen:
Es wird erstens zur Leerheit einer gehaltlosen, weil ohne Beziehung zum Sein blei-
124 benden Logik und damit abschrec|kend, wenn es in die Endlosigkeit eines neuen Wis-
♦ sens von Etwas, von Schlußformen, Beziehungen von Zeichen, von beliebigen, nicht
nur formalen, sondern leeren Operationen gerät. Dann ist es nicht mehr das alles be-
sondere Wissen durchdringende Wissen des Seinsbewußtseins selbst, sondern ein phi-
losophisch gleichgültiges Wissen von möglichen Ausdrucksformen, Intellektualitä-
ten, Sprachlichkeiten, mathematisch greifbaren Formalismen. Das eigentliche Wissen
des Wissens ist, obgleich es auch diese Wege gehen muß, um solche Stoffe zu beherr-
♦ sehen, doch nicht ein Wissen von Etwas, sondern das Wissen um die Weisen des Wis-
sens von Etwas. Dieses durchdringende Wissen ist nicht mehr in der Losgelöstheit vom
♦ faktischen Wissen von Etwas noch gegenwärtig, weil es dann selbst, ausgehöhlt, nur
ein neues Wissen von einem besonderen Etwas geworden ist.
Diese Loslösung geschieht zweitens auf eine entgegengesetzte Weise des Mißver-
stehens im »absoluten Wissen« des Idealismus. Dessen Mißverständnis verwandelte das
in der Durchdringung des gesamten Wissens in allen Weisen des Umgreifenden sich
erhellende Seinsbewußtsein in ein sich für sich isolierendes Hervorbringen eines in
der Tat besonderen Wissens aller Gehalte; dieses sollte sich selbständig und abgetrennt
wie eine Mathematik konstruieren, als ob es selbst seine Gehalte schaffen könnte. Als
solches schloß es sich zudem in sich selbst zur Vollendung des Systems, in dem alles
Eigentliche, die Gottheit selber, gewußt wurde.
Die beiden Mißverständnisse sind selbst nur ein Hinweis auf die Substanz, durch
deren Mißverständnis sie erst möglich sind. Hier ist ein Quellpunkt, aus dem alles Wis-
sen zum Seinsbewußtsein beseelt wird. Oder hier ist die Springfeder, durch die das Wis-
sen erst den Antrieb bekommt, in der Wirklichkeit des Wissenden durch die Weise
125 ♦ | des Wissens als Wissen mehr als bloßes Wissen von Etwas zu werden.
Was das ist, kann nur denkend getan, nicht noch einmal wieder als ein Einzelnes
gewußt werden. Der Gedanke erinnert daran und treibt dazu hin.
Statt einer Forderung universalen und grenzenlosen Denkens, das als solches ins
Leere und Endlose führt, gilt die Forderung, sich aus der Wirklichkeit, dem Sein selbst,
denkend voranzutreiben in das Sein zurück. Es genügt nicht zu sagen: Sei vernünf-
 
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