Metadaten

Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0148
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Möglichkeiten gegenwärtigen Philosophierens

87

gibt nichts, was sich der Berührung der Vernunft zu entziehen vermag und was nicht
durch ihre positive oder negative Bedingung erst eigentlich hervorgetrieben würde. -
Das Selbstbewußtsein dieser universalen Vernünftigkeit entfaltet sich der Form
nach als philosophische Logik.
Aus ihrem Felde haben wir - zur Klärung des in den verfälschenden Simplifikatio-
nen scheinbaren Widerstreits zwischen Vernunft und Existenz - in den vorhergehen-
den Vorlesungen drei Gedanken versucht: den ausweitenden Gedanken des Umgreifen-
den, den bindenden Gedanken der Wahrheit als Kommunikation und den Gedanken
vom Vorrang des Denkens, der die noch das Widervernünftige einschließende und so-
gar die Falschheit erst ermöglichende | Allgegenwart der Vernunft aufwies. Jedesmal
zeigte sich die Polarität von Vernunft und Existenz, die nur eine abkürzende Formel
ist für ein verwickeltes Aufeinanderangewiesensein der Weisen, als die wir sind, und
in denen Sein für uns ist.
Sind wir in philosophischer Logik diese Wege gegangen, so ist es infolge logischer
Bewußtheit nicht mehr möglich, die Wahrheit in einem Standpunkt zu haben oder in
der Gestalt sich antithetisch ausschließender oder versöhnender Möglichkeiten. Das
Dasein ist gleichsam aufgebrochen, so daß wir in ihm Wahrheit in den Weisen des Um-
greifenden, stets mit sich selbst kämpfend, zu erringen haben auf einem Wege, dessen
Ursprung und Ziel nicht gewußt wird. Irgendeine Lehre, die die Lösung ist, welche
man nun als die wahre hinnehmen könnte, kann es darum nicht geben, weil sie ge-
rade die Aufgabe des Menschen in seiner Zeit zerstören würde.
Es gilt, jede zur Endgültigkeit fest werdende Gestalt zu durchbrechen, alle denkba-
ren Standpunkte in ihrer Relativität zu beherrschen; und es gilt, in jeder Weise des Um-
greifenden bewußt gegenwärtig zu sein, alle Weisen der Mitteilbarkeit zu vollziehen.
Dadurch allein ist der Raum zu gewinnen, in dem wahrhaftig der Boden der Existenz
tragend werden kann. -
Die durch drei Vorlesungen als durch Beispiele vergegenwärtigte philosophische
Logik ist in ihrer Gesamtaufgabe deutlicher zu umschreiben:
Diese Logik ist nicht mehr zu beschränken auf die überlieferte formale Logik oder auf
die Forschungs- und Begründungsmethoden in den Wissenschaften, obgleich diese Teil-
gebiete in ihrer Bestimmtheit, nicht in ihrem Gesamtsinn unangetastet bleiben. Was in
der transzendentalen Logik Kants im weitesten Horizont begann, ist eine neue, seitdem
unverlierbare Grundlage. Was Hegel in seiner | metaphysischen Logik als eine Kategori-
enlehre durchführte, ist, wenn auch für uns in seinem Prinzip und in der Durchführung
unannehmbar, die Erfüllung einer Aufgabe, die der gegenwärtigen verwandt ist, der Auf-
gabe einer Logik des menschlichen Denkens in jeder Gestalt des Umgreifenden.
Die schulmäßig überlieferte Logik hat die Mannigfaltigkeit der logischen Möglich-
keiten nicht in der Offenheit für alle Weisen des Umgreifenden unterscheidend über-
blickt. Sie war durchweg gebunden an das rational Gegenständliche oder seinen ein-

133

134
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften