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Vernunft und Existenz
ben zu verlieren, das zugleich in der Infragestellung bleiben muß, um auf echte Weise
seiner gewiß zu werden.
Der Philosophierende selbst gewinnt seine Erfüllung aber nicht in einem abstrak-
ten Allgemeinen seines Denkens, nicht in der Beschränkung auf den Gedanken als sol-
chen, sondern in seiner Geschichtlichkeit.
In dieser hat er ein positives Verhältnis zur eigenen religiösen Herkunft, ebenso wie
zu dem überall durchdringenden Fluidum der Gottlosigkeit.214 Im Blick auf diese Wirk-
lichkeit der Gottlosigkeit sieht er den entscheidenden Kampf um das Wesen des Men-
schen, das, wenn ihm Gott tot und fremd ist, sich selbst nicht zu halten vermag in sei-
ner dann unausweichlichen Verwandlung zu etwas ganz Anderem. Dieser Kampf ist
aber philosophisch nicht der äußere Kampf gegen die Erscheinung in der Welt, son-
dern der innere, der die Gedanken hervorbringt, die mitteilbar von Seele zu Seele spre-
chen in ihrer Gebundenheit an das Sein der Gottheit.
Angesichts von Religion und Gottlosigkeit lebt der Philosophierende aus eigenem Glau-
143 ben. Solange der Mensch philosophiert, weiß er sich im Zusammenhang nicht | mit
der heiligen Kette der »Wahrheitszeugen« (in der sich der glaubende Christ fühlen
dürfte), auch nicht mit der von jeher weltgestaltend wirksamen und jederzeit auch
ihre Sprache findenden Gottlosigkeit, aber im Zusammenhang mit der heimlich offen-
baren Kette in Freiheit suchender Menschen. Deren leuchtende Glieder sind die we-
nigen großen Philosophen, die, keine Jünger verlangend, ja sie verschmähend, ihrer
menschlichen Endlichkeit sich so bewußt wie der Unendlichkeit, in der sie leben, die
Fackel reichen dem, der sie von sich aus ergreift und am Ende vielleicht nur als verglim-
menden Funken weiterträgt, bis der Nächste sie wieder zu heller Flamme entzündet.215
♦ Dieser Glaube ist in der Vernunft mehr als Vernunft. Es ist nicht das gleiche, ob ich
♦ mich schlechthin gründe in der Selbstgewißheit der Vernunft als erkennendem Tun,
oder ob ich mir in diesem Medium als Möglichkeit eigener Existenz gewiß bin. Der Weg
des Philosophierens, das sich immer auch wieder auf bloße Vernunft gründen wollte,
mußte darum auch immer wieder im Leeren endigen. Wie in der Philosophie das,
♦ was nicht Vernunft ist, und durch das auch Vernunft erst ihre ganze Weite erhält, ge-
genwärtig ist, das entscheidet über ihre Substanz in der jeweiligen Geschichtlichkeit.
Was der eigentümlich philosophische Glaube sei, ist daher nicht in objektiver Be-
stimmtheit auszusprechen, sondern nur in der zuletzt indirekten Mitteilung des ge-
samten philosophischen Werks. Geradezu ist er nur in seinen Erscheinungsweisen des
weiteren deutlich zu machen:
Er ist der Ursprung der Arbeit, in der sich der Mensch als Einzelner im inneren Han-
deln vor seiner Transzendenz hervorbringt - berührt von der erweckenden Überliefe-
rung, aber ohne rational bestimmbare Bindung an eine objektive Gestalt. Denn jedes
♦ Philosophieren ist einmalig und nicht identisch wiederholbar, - obgleich alles Philo-
Vernunft und Existenz
ben zu verlieren, das zugleich in der Infragestellung bleiben muß, um auf echte Weise
seiner gewiß zu werden.
Der Philosophierende selbst gewinnt seine Erfüllung aber nicht in einem abstrak-
ten Allgemeinen seines Denkens, nicht in der Beschränkung auf den Gedanken als sol-
chen, sondern in seiner Geschichtlichkeit.
In dieser hat er ein positives Verhältnis zur eigenen religiösen Herkunft, ebenso wie
zu dem überall durchdringenden Fluidum der Gottlosigkeit.214 Im Blick auf diese Wirk-
lichkeit der Gottlosigkeit sieht er den entscheidenden Kampf um das Wesen des Men-
schen, das, wenn ihm Gott tot und fremd ist, sich selbst nicht zu halten vermag in sei-
ner dann unausweichlichen Verwandlung zu etwas ganz Anderem. Dieser Kampf ist
aber philosophisch nicht der äußere Kampf gegen die Erscheinung in der Welt, son-
dern der innere, der die Gedanken hervorbringt, die mitteilbar von Seele zu Seele spre-
chen in ihrer Gebundenheit an das Sein der Gottheit.
Angesichts von Religion und Gottlosigkeit lebt der Philosophierende aus eigenem Glau-
143 ben. Solange der Mensch philosophiert, weiß er sich im Zusammenhang nicht | mit
der heiligen Kette der »Wahrheitszeugen« (in der sich der glaubende Christ fühlen
dürfte), auch nicht mit der von jeher weltgestaltend wirksamen und jederzeit auch
ihre Sprache findenden Gottlosigkeit, aber im Zusammenhang mit der heimlich offen-
baren Kette in Freiheit suchender Menschen. Deren leuchtende Glieder sind die we-
nigen großen Philosophen, die, keine Jünger verlangend, ja sie verschmähend, ihrer
menschlichen Endlichkeit sich so bewußt wie der Unendlichkeit, in der sie leben, die
Fackel reichen dem, der sie von sich aus ergreift und am Ende vielleicht nur als verglim-
menden Funken weiterträgt, bis der Nächste sie wieder zu heller Flamme entzündet.215
♦ Dieser Glaube ist in der Vernunft mehr als Vernunft. Es ist nicht das gleiche, ob ich
♦ mich schlechthin gründe in der Selbstgewißheit der Vernunft als erkennendem Tun,
oder ob ich mir in diesem Medium als Möglichkeit eigener Existenz gewiß bin. Der Weg
des Philosophierens, das sich immer auch wieder auf bloße Vernunft gründen wollte,
mußte darum auch immer wieder im Leeren endigen. Wie in der Philosophie das,
♦ was nicht Vernunft ist, und durch das auch Vernunft erst ihre ganze Weite erhält, ge-
genwärtig ist, das entscheidet über ihre Substanz in der jeweiligen Geschichtlichkeit.
Was der eigentümlich philosophische Glaube sei, ist daher nicht in objektiver Be-
stimmtheit auszusprechen, sondern nur in der zuletzt indirekten Mitteilung des ge-
samten philosophischen Werks. Geradezu ist er nur in seinen Erscheinungsweisen des
weiteren deutlich zu machen:
Er ist der Ursprung der Arbeit, in der sich der Mensch als Einzelner im inneren Han-
deln vor seiner Transzendenz hervorbringt - berührt von der erweckenden Überliefe-
rung, aber ohne rational bestimmbare Bindung an eine objektive Gestalt. Denn jedes
♦ Philosophieren ist einmalig und nicht identisch wiederholbar, - obgleich alles Philo-