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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0158
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Die Möglichkeiten gegenwärtigen Philosophierens

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daher selbst. Dazu gehöre die durchgehende und ärgerliche antinomische Struktur
dieses Philosophierens, das sagt und zurücknimmt, gibt und verweigert.
Dazu ist zu sagen, daß es in der Tat darauf ankommt, die Logik des Philosophierens
bewußt zu machen. Damit ergeben sich Formen und Stufen des Mitteilungssinnes, ein
Begreifen der an ihrer Stelle notwendigen Widersprüchlichkeit und nur innerhalb des
Philosophierens auch ein Feld in dem Sinne allgemeingültiger Feststellungen (in der
philosophischen Weltorientierung und der philosophischen Logik).
Ferner heißt es, dieses Philosophieren sei unverständlich, weil es das Ungegenständ-
liche erkennen wolle, was sinnwidrig sei: es spreche daher widerspruchsvoll in Gegen-
ständen von dem, was nie Gegenstand werden solle; wo aber kein Gegenstand mehr
sei, da höre alles auf. So sei dieses Philosophieren der vergebliche Versuch, über sei-
nen eigenen Schatten zu springen, oder wie Münchhausen zu verfahren, der sich am
eigenen Schopf aus dem Sumpfe zieht. Es sei lebensfremde intellektuelle Akrobatik.
Solcher Einwand bezeichnet zwar eine Form der Mittei|lung zum Teil richtig, wenn
auch roh, verfehlt aber dabei ihren Sinn. Die Bewertung trifft aus Mangel an Verste-
hen gar nicht das, was hier vollzogen wird. Denn es handelt sich um eine Weise des
Transzendierens, die zwar für den endlichen Verstand - der nichts anderes als dieser
sein will - sinnlos, für ihn nur ein Überschnappen220 ist; ist sie aber auch ein für ihn
nicht erfüllbares Überschreiten des Endlichen, so ist sie deshalb doch nicht nichts für
die Vernunft der Existenz.
Ferner wird die Alternative aufgestellt: es gebe entweder sachliche begrifflich-ratio-
nale, unpersönliche Erkenntnis vom Ganzen (die systematische Philosophie) mit dem
sinnvollen Geltungsanspruch ihrer Wahrheit für jeden Verstand, oder die dichterische
und künstlerische Leistung. Dieses Philosophieren aber sei keines von beiden, also ent-
weder nichts oder eine trübe Mischung aus Dichtung und Rationalität ohne Können.
Aber die Voraussetzung dieses Einwands: Entweder Kunst oder Wissenschaft, ist
fragwürdig als aus einer Einteilung von Kultur- und Geistessphären stammend, die kei-
neswegs eine ausschließende Geltung beanspruchen kann. Es kommt gerade darauf
an, die Denkungsart des Philosophierens in ihrer Eigenständigkeit methodisch zu be-
greifen, in der Philosophie nicht von einem Anderen her ein falsches Mittleres, son-
dern den eigenen Ursprung zu sehen.
Drittens wenden sich gegen dieses Philosophieren substantielle Einwände:
In ihm werde alle objektive Geltung und Ordnung, daher jede Verbindlichkeit auf-
gehoben. Es sei unwissenschaftlich, daher subjektivistisch und von beliebiger Willkür.
Dagegen ist zu erklären, daß die Philosophie vielmehr mit Leidenschaft die blei-
bende Ordnung sucht, die ohne Täuschung beständig wäre. Sie erkennt die Weisen der
| Ordnung und macht sie sich zu eigen, aber hält ihr Bewußtsein offen für die Gren-
zen jeder Ordnung und damit für den letzten, allein wahren, nicht zu antizipierenden
Punkt der Ruhe. - Sie ist wissenschaftlich im Sinne der disziplinierenden Form rationa-



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