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Existenzphilosophie
Umgreifende ist die Welt, ist das Dasein, das wir sind, ist das Bewußtsein überhaupt.
Indem wir das Umgreifende deutlich denken, tun wir also, was bei seinem Denken
grade überwunden werden soll. Wir dürfen keinen Gegenstand als das Umgreifende
mehr vor uns haben, wenn wir im Umgreifenden den Grund von allem suchen; indem
wir es aber denken, denken wir es doch unausweichlich mit Hilfe bestimmter Seinsin-
halte. Diese sollen im Vollzug des Gedankens verschwinden, wenn wir des Seins selbst
innewerden, das nicht mehr ein bestimmtes Sein ist. Jeder Satz, der sich auf das Um-
greifende bezieht, hat also einen Widersinn in sich. Und wenn es möglich wäre, - was
in der Tat ein Grundvollzug des Philosophierens ist - in der Form des Gegenständli-
15 chen | etwas Ungegenständliches zu denken, so wäre jeder Satz zugleich einer unaus-
weichlichen Mißverstehbarkeit ausgesetzt: statt in einem umwendenden Gedanken
des Umgreifenden innezuwerden, hätte man mit der Wörtlichkeit der isolierten Sätze
ein Scheinwissen vom Ganzen des Umgreifenden.
Was im Sinne des gewohnten Erkennens widerspruchslogisch unvollziehbar ist, ist
doch philosophisch vollziehbar als das Hellwerden eines mit allem bestimmten Wissen
unvergleichbaren Seinsbewußtseins. Wir treten in den weitesten Raum des Möglichen. Al-
les als Gewußtsein für uns Seiende gewinnt eine Tiefe durch den Bezug auf diesen
Raum, aus dem es an uns herantritt, das Sein ankündigend, ohne es selbst zu sein.
Das Umgreifende ist weiter zu erhellen. Es ist die Sprache zu gewinnen, mit der später die
Grundfragen nach Wahrheit und Wirklichkeit überhaupt erst deutlich gestellt werden
können. Die gründliche Entwicklung dieser Präliminarien des Philosophierens ist eine
der Aufgaben der philosophischen Logik. Hier muß eine weniger als skizzenhafte An-
deutung genügen, um den Sinn einiger Worte für das Umgreifende zu bezeichnen, die
wir in der nächsten Vorlesung brauchen - nämlich der Worte Welt, Bewußtsein über-
haupt, Dasein, Geist, Existenz, Transzendenz.
Das eine Umgreifende - so wie ich von ihm rede, um es in seinem Gehalt zu erhel-
len -, spaltet sich sogleich in die Weisen des Umgreifenden durch die Gegenständlich-
keit bestimmter Erscheinungen. Diese Weisen scheiden sich uns, indem wir folgende
Schritte des Gedankens nachvollziehen:
Der erste Schritt:
Kant begriff, daß die Welt kein Gegenstand für uns wird, sondern daß sie nur eine
Idee ist, d.h. daß alles, was wir erkennen können, in der Welt ist, niemals die Welt; und
16 daß | wir, wenn wir die Welt als an sich seiendes Ganzes vermeintlich erkennen wol-
len, uns in unauflösliche Widersprüche - die Antinomien - verfangen.235
Kantbegriff weiter, wie alles Gegenstandsein für uns unter der Bedingung des den-
kenden Bewußtseins steht (so die Einheit des jeweils Gegenständlichen unter der Bedin-
gung der diese Einheit erst stiftenden Einheit des Bewußtseins überhaupt); oder an-
ders: daß alles »Sein für uns« Erscheinung des »Seins an sich« ist, wie es sich dem für
Existenzphilosophie
Umgreifende ist die Welt, ist das Dasein, das wir sind, ist das Bewußtsein überhaupt.
Indem wir das Umgreifende deutlich denken, tun wir also, was bei seinem Denken
grade überwunden werden soll. Wir dürfen keinen Gegenstand als das Umgreifende
mehr vor uns haben, wenn wir im Umgreifenden den Grund von allem suchen; indem
wir es aber denken, denken wir es doch unausweichlich mit Hilfe bestimmter Seinsin-
halte. Diese sollen im Vollzug des Gedankens verschwinden, wenn wir des Seins selbst
innewerden, das nicht mehr ein bestimmtes Sein ist. Jeder Satz, der sich auf das Um-
greifende bezieht, hat also einen Widersinn in sich. Und wenn es möglich wäre, - was
in der Tat ein Grundvollzug des Philosophierens ist - in der Form des Gegenständli-
15 chen | etwas Ungegenständliches zu denken, so wäre jeder Satz zugleich einer unaus-
weichlichen Mißverstehbarkeit ausgesetzt: statt in einem umwendenden Gedanken
des Umgreifenden innezuwerden, hätte man mit der Wörtlichkeit der isolierten Sätze
ein Scheinwissen vom Ganzen des Umgreifenden.
Was im Sinne des gewohnten Erkennens widerspruchslogisch unvollziehbar ist, ist
doch philosophisch vollziehbar als das Hellwerden eines mit allem bestimmten Wissen
unvergleichbaren Seinsbewußtseins. Wir treten in den weitesten Raum des Möglichen. Al-
les als Gewußtsein für uns Seiende gewinnt eine Tiefe durch den Bezug auf diesen
Raum, aus dem es an uns herantritt, das Sein ankündigend, ohne es selbst zu sein.
Das Umgreifende ist weiter zu erhellen. Es ist die Sprache zu gewinnen, mit der später die
Grundfragen nach Wahrheit und Wirklichkeit überhaupt erst deutlich gestellt werden
können. Die gründliche Entwicklung dieser Präliminarien des Philosophierens ist eine
der Aufgaben der philosophischen Logik. Hier muß eine weniger als skizzenhafte An-
deutung genügen, um den Sinn einiger Worte für das Umgreifende zu bezeichnen, die
wir in der nächsten Vorlesung brauchen - nämlich der Worte Welt, Bewußtsein über-
haupt, Dasein, Geist, Existenz, Transzendenz.
Das eine Umgreifende - so wie ich von ihm rede, um es in seinem Gehalt zu erhel-
len -, spaltet sich sogleich in die Weisen des Umgreifenden durch die Gegenständlich-
keit bestimmter Erscheinungen. Diese Weisen scheiden sich uns, indem wir folgende
Schritte des Gedankens nachvollziehen:
Der erste Schritt:
Kant begriff, daß die Welt kein Gegenstand für uns wird, sondern daß sie nur eine
Idee ist, d.h. daß alles, was wir erkennen können, in der Welt ist, niemals die Welt; und
16 daß | wir, wenn wir die Welt als an sich seiendes Ganzes vermeintlich erkennen wol-
len, uns in unauflösliche Widersprüche - die Antinomien - verfangen.235
Kantbegriff weiter, wie alles Gegenstandsein für uns unter der Bedingung des den-
kenden Bewußtseins steht (so die Einheit des jeweils Gegenständlichen unter der Bedin-
gung der diese Einheit erst stiftenden Einheit des Bewußtseins überhaupt); oder an-
ders: daß alles »Sein für uns« Erscheinung des »Seins an sich« ist, wie es sich dem für