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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0175
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Existenzphilosophie

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letzt nur erhellbar als der umgreifende Raum und als die Räume, in denen alles Sein
uns entgegenkommt. Wurde in der Ontologie das Sein gedacht als eine Ordnung von
Gegenständen oder Sinneinheiten, so wird nun - seit Kant239 - jede Ontologie verwor-
18 fen. Es bleiben die Räume, in denen | wir erst finden müssen, was Sein ist. Für Ontolo-
gie war alles nur das, was es im Gedachtsein ist; für das Philosophieren ist alles zugleich
durchdrungen von dem Umgreifenden, oder es ist wie verloren. Ontologie klärte das
in Seinsaussagen Gemeinte durch Zurückführung auf ein erstes Sein; Philosophieren
vollzieht eine Klärung des Umgreifenden, in dem alles, was dann in Aussagen getrof-
fen werden kann, Grund und Ursprung hat. Ontologie versuchte eine gegenständli-
che Klärung; d.h. Ontologie zeigte ein im immanenten Denken gradezu Sichtbares,
Philosophieren trifft im transzendierenden Denken indirekt das Sein. Ein Gleichnis
für den Sinn der Ontologie ist die ordnende Tafel ruhender Kategorien, ein Gleichnis
für den Sinn der Erhellung des Umgreifenden ist eine bewegte, wie schwebende Band-
verflechtung klärender Linien.240
In der Erhellung der Weisen des Umgreifenden erwächst unausweichlich eine Reihe
von Scheinontologien, deren wir uns bemächtigen. Denn ihre Begrifflichkeit bringt uns
die Sprache. Aber ihr ontologischer Sinn löst sich in der Bewegung des Philosophie-
rens sogleich wieder auf, um statt eines Wissens von Etwas vielmehr die Gegenwärtig-
keit eines jeweils eigentümlich farbigen und unschließbaren Raumes entstehen zu las-
sen.
2. Die Verflechtung, in der das Sein für uns steht, gibt dem Erkennen einerseits ein
unbegrenztes Fortschreiten in allem, was Gegenstand wird, frei, aber setzt ihm ande-
rerseits am Umgreifenden eine unüberschreitbare Grenze, von der her der Sinn des Er-
kennens zugleich beflügelt wird.
Das hat eine folgenreiche Bedeutung vor allem für die Erkenntnis der Wirklichkeit
des Menschen. Das Umgreifende, das ich bin als Dasein und Geist, wird gegenständlich
und damit Forschungsobjekt als die mir vorkommende Weltwirklichkeit des mensch-
lichen Daseins und Geistes. Aber Daseinswissenschaft und Geisteswissenschaft ist
19 nicht Wissen vom Umgreifenden, vielmehr ein Wissen von | einer Erscheinung, de-
ren Sein wir selbst sind oder sein können, zu dem wir daher zwei gegenseitig aneinan-
der gebundene Zugänge haben: durch Wissen von ihm als Erscheinung und durch In-
newerden seiner.
Alle Weisen des Umgreifenden sinken gleichsam zusammen, indem sie zu For-
schungsobjekten werden und nichts als diese sein sollen; sie hauchen ihre Seele aus
als das, als was sie in Gestalt von Forschungsobjekten sichtbar und erkennbar werden.
Welchen Wirklichkeitscharakter jeweils der Gegenstand einer wissenschaftlichen Er-
kenntnis hat, ist eine in jedem Fall zu stellende Frage. Negativ ist leicht zu sagen:
Keine Anthropologie erkennt, was das lebendige Dasein des Menschen wirklich ist.
Das lebendige Dasein, das wir als umgreifend selbst sind, hat das biologisch von sich
 
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