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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0201
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140

Existenzphilosophie

Augen hat. In der Tat, im Werk, im Ruhm, in der Nachwirkung, erwirbt es sich nur eine
zweite Daseinsdauer auf eine ein wenig längere Frist, kann sich aber nicht verschleiern,
daß auch diese zeitliche Dauer ihr absolutes Ende im Schweigen des Weltalls hat.
Wir suchen dann die Wirklichkeit des eigenen Seins im Selbstsein unseres unabhän-
gigen Wesens. Aber je entschiedener wir wir selbst sind, desto entschiedener erfahren
wir, daß wir es nicht durch uns allein sind, sondern daß wir uns geschenkt werden.
Auch die eigene eigentliche Wirklichkeit der Existenz ist nicht »die« Wirklichkeit.
Auf diesen Wegen, mit Bewußtsein die Wirklichkeit erfassen zu wollen, so daß wir sie
am Ende wüßten oder selbst seien, geraten wir ins Bodenlose. Die Wirklichkeit wissen
wir so nicht als ein Anderes und haben sie so nicht als uns selbst. Alle Wege - zu den
konkreten Wissenschaften, zu den Sachen selbst, zum bestehenden Objekt, zu einem
wie immer gearteten ontologischen Wissen - führen uns, wenn wir uns auf sie be-
schränken, nur zu Weisen der Wirklichkeit durch Weisen des Wissens, die als solche
ungenügend bleiben.
Bis hierhin hat unser Philosophieren nur aufgeräumt. Wir suchen auf dem Grunde
59 dieses kritischen Philosophierens ein anderes Philosophieren, in dem wir die Rück|kehr
zur Wirklichkeit finden. Wir suchen ein Philosophieren, das alle möglichen Weisen
der Wirklichkeit zwar zur Voraussetzung hat, d.h. sie unbegrenzt ergreifen und erken-
nen will, sie aber durchschreitet zur Wirklichkeit selbst. Da liegt es. Hier muß Philoso-
phieren sich bewähren. Wie das in der Durchführung des konkreten Philosophierens
geschieht, ist nur durch dieses selbst zu zeigen. In der Kürze müssen Beispiele vertre-
ten. Ich wähle das abstrakte, im engeren Sinne spekulativ genannte Denken, dessen
Sinn vielleicht in einer bloßen Andeutung schon fühlbar werden kann:
Eigentliche Wirklichkeit ist das Sein, das nicht als Möglichkeit gedachtwerden kann. Was
heißt das?
Eine Wirklichkeit, deren Dasein ich aus den Ursachen begreife, durch die sie gewor-
den ist, hätte unter anderen Umständen auch anders werden können. Erkannte Wirk-
lichkeit ist als erkannte eine verwirklichte Möglichkeit; sie behält im Gedachtsein den
Charakter einer Möglichkeit. Selbst die Welt im Ganzen, sofern ich sie denke, ist eine
der möglichen Welten. Wirklichkeit, soweit ich sie erkenne, habe ich dadurch in den
Raum der Möglichkeit gestellt.
Wo aber die Wirklichkeit selbst ist, da hört Möglichkeit auf. Wirklichkeit ist, was nicht
mehr in Möglichkeit übersetzt werden kann. Wo ich eine Wirklichkeit noch begreife und
dann als eine der Möglichkeiten, dort bin ich bei einer Erscheinung, nicht bei der Wirk-
lichkeit selbst. Denken kann ich nur das, was ich zugleich als Möglichkeit denke.
Das Wirkliche ist daher das, was gegen jedes Gedachtwerden Widerstand leistet.
Das spricht Schelling aus: »Das bloß - das nur Existierende ist gerade das, wodurch al-
 
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