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Existenzphilosophie
wo ich eigentlich frei bin, durch sie. Ihre entschiedenste Sprache ist die durch meine
Freiheit selbst.
2. Dann ist die zweite Entscheidung, ob Transzendenz mich zur Weltverneinung aus
der Welt hinaus führt, oder ob Transzendenz fordert, mich nur in der Welt zu verwirk-
lichen. Der philosophische Glaube bindet sich an die Welt als Bedingung allen Seins
für ihn (so daß in der Tat eine reine Immanenzlehre die der Philosophie jederzeit nahe
Gefahr ihrer Entleerung ist). Er fordert, ganz bei der Sache in der Welt zu sein, nichts
wichtiger zu finden, als hier mit allen Kräften das jeweils Sinnvolle zu tun (um darin
und aus der entspringenden Wirklichkeit die immer noch vieldeutige Sprache der
Transzendenz zu vernehmen) und zugleich die verschwindende Nichtigkeit des Gan-
zen vor der Transzendenz nie zu vergessen. Er fordert mit dem Wissen um Endlichkeit
die Geschichtlichkeit als einzige Verwirklichungsweise. Er fordert die hochgemute
Haltung, die den Tod nicht »will«, aber in sich aufnimmt als ganz in die Gegenwart
zwingende Macht. Wenn Philosophieren heißt: sterben lernen,261 so nicht dadurch,
daß ich mit dem Gedanken an den Tod durch die Angst die Gegenwart verliere, son-
dern dadurch, daß ich die Gegenwart steigere durch nicht nachlassende tätige Erfül-
lung am Maßstab der Transzendenz.
Daher ist für uns Transzendenz nichts, sofern alles, was für uns ist, in Gestalt des
Daseins ist.
Und daher ist Transzendenz für uns alles, sofern, was für uns im Dasein eigentli-
ches Sein ist, dies nur ist in bezug auf Transzendenz oder als Chiffre der Transzendenz.
Die Vergewisserung der Wirklichkeit ist in solchem Philosophieren durch Gedanken
72 ausgesprochen, aber | noch nicht vollzogen. Philosophie erscheint als ein unwirksa-
mes und enttäuschendes Denken: nirgends gibt sie »die« Wirklichkeit. Denn sie setzt
voraus, daß der denkende Mensch durch Philosophieren zur Klarheit und verläßlichen
Kontinuität steigern will, was er schon mitbringt und sein kann, nicht daß er etwas er-
halten will, das er auf keine Weise kannte und von sich aus nicht sein konnte. Die Rück-
kehr zur Wirklichkeit ist im letzten Schritt von jedem Menschen in nicht vorwegzuneh-
mender Weise selbst zu tun. Philosophisch ist nur der Weg zu zeigen, sich durch
Wahrheit der Wirklichkeit zu nähern, das Sein zu ergreifen, das immer gegenwärtig
und doch nie allgemein offenbar ist.
Ganz andere Hoffnung erweckt die Religion.262 Die alles tragende Wirklichkeit wird
erfahren in der Religion als das Gewisse, autoritativ Garantierte, auf eine von allem
Philosophieren wesensverschiedene Weise Geglaubte. Die Wirklichkeit hat gespro-
chen, und sie ist ergriffen im Mythus und in der Offenbarung.
Philosophie kann nicht den Mythus hervorbringen. Denn in ihm ist, wenn er da
ist, die Wirklichkeit selbst; Philosophie kann nur in Mythen spielen und indirekt ver-
gewissern. Philosophie kann nicht Offenbarung ersetzen. Denn in der Offenbarung
Existenzphilosophie
wo ich eigentlich frei bin, durch sie. Ihre entschiedenste Sprache ist die durch meine
Freiheit selbst.
2. Dann ist die zweite Entscheidung, ob Transzendenz mich zur Weltverneinung aus
der Welt hinaus führt, oder ob Transzendenz fordert, mich nur in der Welt zu verwirk-
lichen. Der philosophische Glaube bindet sich an die Welt als Bedingung allen Seins
für ihn (so daß in der Tat eine reine Immanenzlehre die der Philosophie jederzeit nahe
Gefahr ihrer Entleerung ist). Er fordert, ganz bei der Sache in der Welt zu sein, nichts
wichtiger zu finden, als hier mit allen Kräften das jeweils Sinnvolle zu tun (um darin
und aus der entspringenden Wirklichkeit die immer noch vieldeutige Sprache der
Transzendenz zu vernehmen) und zugleich die verschwindende Nichtigkeit des Gan-
zen vor der Transzendenz nie zu vergessen. Er fordert mit dem Wissen um Endlichkeit
die Geschichtlichkeit als einzige Verwirklichungsweise. Er fordert die hochgemute
Haltung, die den Tod nicht »will«, aber in sich aufnimmt als ganz in die Gegenwart
zwingende Macht. Wenn Philosophieren heißt: sterben lernen,261 so nicht dadurch,
daß ich mit dem Gedanken an den Tod durch die Angst die Gegenwart verliere, son-
dern dadurch, daß ich die Gegenwart steigere durch nicht nachlassende tätige Erfül-
lung am Maßstab der Transzendenz.
Daher ist für uns Transzendenz nichts, sofern alles, was für uns ist, in Gestalt des
Daseins ist.
Und daher ist Transzendenz für uns alles, sofern, was für uns im Dasein eigentli-
ches Sein ist, dies nur ist in bezug auf Transzendenz oder als Chiffre der Transzendenz.
Die Vergewisserung der Wirklichkeit ist in solchem Philosophieren durch Gedanken
72 ausgesprochen, aber | noch nicht vollzogen. Philosophie erscheint als ein unwirksa-
mes und enttäuschendes Denken: nirgends gibt sie »die« Wirklichkeit. Denn sie setzt
voraus, daß der denkende Mensch durch Philosophieren zur Klarheit und verläßlichen
Kontinuität steigern will, was er schon mitbringt und sein kann, nicht daß er etwas er-
halten will, das er auf keine Weise kannte und von sich aus nicht sein konnte. Die Rück-
kehr zur Wirklichkeit ist im letzten Schritt von jedem Menschen in nicht vorwegzuneh-
mender Weise selbst zu tun. Philosophisch ist nur der Weg zu zeigen, sich durch
Wahrheit der Wirklichkeit zu nähern, das Sein zu ergreifen, das immer gegenwärtig
und doch nie allgemein offenbar ist.
Ganz andere Hoffnung erweckt die Religion.262 Die alles tragende Wirklichkeit wird
erfahren in der Religion als das Gewisse, autoritativ Garantierte, auf eine von allem
Philosophieren wesensverschiedene Weise Geglaubte. Die Wirklichkeit hat gespro-
chen, und sie ist ergriffen im Mythus und in der Offenbarung.
Philosophie kann nicht den Mythus hervorbringen. Denn in ihm ist, wenn er da
ist, die Wirklichkeit selbst; Philosophie kann nur in Mythen spielen und indirekt ver-
gewissern. Philosophie kann nicht Offenbarung ersetzen. Denn in der Offenbarung