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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0220
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Nachwort zur zweiten Auflage

159

ist, nicht wegen meiner unbekannten politischen Gesinnung oder wegen meiner nicht
interessierenden Philosophie).283 Das Hochstift hielt durch seinen Leiter, Prof. Ernst
Beutler284, an der schon vorher ergangenen Einladung trotz meiner Entlassung fest. Ich
wußte, daß ich nicht wieder öffentlich würde sprechen können, ergriff die letzte Ge-
legenheit und sah es als ein unerwartetes Glück an, daß diese Vorlesungen sogar dank
dem Verlag erscheinen konnten. Sie waren meine letzte Publikation, bis die Vernich-
tung des Nationalsozialismus freies deutsches Leben im Westen wieder ermöglichte.
Die Stimmung dieser Schrift entspricht dem Augenblick, in dem sie entstand, bezo-
gen auf das Untilgbare.
| Was sollte ich sagen? Ich erhob - symbolischerweise in den Tagen der Vorträge 88
durch eine körperliche Erkrankung mehr als sonst geschwächt - eine im Augenblick
fast hoffnungslose Stimme. Sie sollte erinnern. Sie bewegte sich in der Philosophie, aus
der für Vernunftwesen alles kommt, was bestätigt und Festigkeit und Boden hält, wenn
der religiös-kirchliche Glaube nicht trägt.
Aber keine direkten Anspielungen auf Erscheinungen des Nationalsozialismus kom-
men vor. Das wäre damals tödlich gewesen. Ich gehörte zu denen, die entschlossen wa-
ren, nicht durch Fahrlässigkeit dem Terrorapparat zu verfallen. Denn nicht nur meine
persönlichen vitalen Voraussetzungen machten mich unfähig zu einem planvollen
aktiven Widerstand, sondern ich hätte, auch wenn diese gegeben gewesen wären, ver-
mutlich als vereinzelter Professor nicht den Entschluß zur Tat gefaßt. Mir schien nichts
übrig zu bleiben, als wenigstens darüber klar zu sein, was man tut und will, und die Kon-
sequenzen zu ziehen. Es galt für uns, naiv zu tun, sich weltfremd zu gebärden, eine na-
türliche Würde zu wahren (die noch in manchen Lagen schützte), gegebenenfalls be-
denkenlos zu lügen. Denn Bestien, die im Besitz aller Gewalt zum Vernichten sind, sind
mit List zu behandeln, nicht wie Menschen und Vernunftwesen.285 Spinozas Caute286,
ein hoher und schwerer Anspruch, stand zwar ständig vor Augen, aber ihm zu folgen tat
doch nicht genug. Das Bedenkliche dieser Lage habe ich in meiner Schrift »Die Schuld-
frage« (1946) ausgesprochen und wiederhole es hier nicht.287
Das Persönliche war ein Reflex des deutschen Unheils. Die Stimmung war getragen
von dem Wissen um die Zerstörung der deutschen Seele und des deutschen Geistes,
die im Gange war. In unserem Heidelberger Kreis ging seit 1934 das Wort »finis Ger-
maniae« um.288 Noch ahnten wir damals nicht, was kommen würde. Das spätere Un-
geheuere läßt das im Vergleich dazu noch Winzige von 1937 verblassen. Die Rettung
der Möglichkeiten deutschen | Lebens durch die Vernichtung des Nationalsozialismus 89
seitens ausländischer Mächte lag noch außerhalb des Horizontes.
Es gab den kleinen Kreis der Freunde, unter denen mit uneingeschränktem Ver-
trauen in Verläßlichkeit und mit solidarischer Vorsicht rückhaltlos offen gesprochen
wurde. Wie ihnen blieb mir persönlich nur das verborgene Dasein des Denkens mög-
lich, um ein Alibi deutschen Wesens wenigstens im Geiste zu verwirklichen. Ich wurde,
 
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