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IDER SOGENANNTE EXISTENTIALISMUS35
Zeitschriften und Zeitungen berichten vom Existentialismus, meistens außerhalb
Deutschlands, nur spärlich in Deutschland. Dramen, Romane, Essays, deren Verfasser
sich auf Philosophie beziehen, haben heute einen Welterfolg. Begeisterte Teilnahme
ist vielleicht nur bei einer geringen Zahl, leidenschaftliche Ablehnung findet sich bei
anderen, eine Sensation ist es für fast alle.
Der Erfolg wurde nach dem Kriege zur Weltmode. Im Mittelpunkt steht der Fran-
zose). P. Sartre.316 Auch Gegner erkennen seine hohe schriftstellerische Qualität an. Er
ist rücksichtslos in Darstellung des Ekligen, Klebrigen, des Übelkeit Erregenden dieses
Daseins. Eine Stimmung der Verzweiflung, die standhält vor dem Nichts, aber sich der
Freiheit des Menschen in dieser Lage bewußt ist, begründet einen radikalen Atheis-
mus. Weil alles auf den Menschen und seine freien Entscheidungen ankommt, nennt
sich diese Haltung einen Humanismus.317 Sartre, dessen Darstellungsmittel das Schre-
ckenerregende, Sinnlose, und im Sinnlosen beängstigend Konsequente ist, hat ein um-
fassendes philosophisches Werk veröffentlicht: »Das Sein und das Nichts«.318 Diese
Leistung zeigt ihn hervorragend geschult im Handwerk der Philosophie. Er gibt eine
treffliche, wenn auch sehr breite Entwicklung seiner Gedanken. Zum Teil ist er offen-
bar abhängig von Formulierungen, die sich bei Heidegger finden, den er gelegentlich
nennt. Ist hier eine Philosophie auf dem Wege über die Literatur zur Weltgeltung ge-
kommen?
Der Begriff der Existenz, in der neuen Sinngebung dieses alten Wortes, stammt von
Kierkegaard. Seit dem ersten Weltkrieg wurde Kierkegaard, der bis dahin in philoso-
phischen Darstellungen fast Unbekannte, in Deutschland zu einer Grundlage moder-
nen Philosophierens. Obgleich er durch seinen christlichen Glauben dem Zermalmer
des Christentums, Nietzsche, völlig entgegengesetzt schien, wurde er mit diesem zu-
sammengebracht.319 Beide wurden mit Recht ineinsgenommen als die großen Prophe-
ten und Opfer unseres Zeitalters, als die Ausnahmen, denen zwar niemand folgen
durfte, der sie verstand, an denen aber das neue Philosophieren sich orientierte. Denn
man begehrte gegen die Harmlosigkeit der zwar in Verstandesarbeit soliden, aber be-
quemen und lebensfernen Professoren-Philosophie, die sich zur Magd der Wissen-
schaften degradiert hatte, den Ernst wirklichen Philosophierens, den Atem, der aus
der alten großen Philosophie weht. Dieser Atem war bei deren Interpreten verloren ge-
gangen, aber in neuer Wucht bei jenen letzten Philosophen großen Stils fühlbar. Die
an jenen Ausnahmen orientierte Philosophie erhielt bald den Namen Existenzphilo-
IDER SOGENANNTE EXISTENTIALISMUS35
Zeitschriften und Zeitungen berichten vom Existentialismus, meistens außerhalb
Deutschlands, nur spärlich in Deutschland. Dramen, Romane, Essays, deren Verfasser
sich auf Philosophie beziehen, haben heute einen Welterfolg. Begeisterte Teilnahme
ist vielleicht nur bei einer geringen Zahl, leidenschaftliche Ablehnung findet sich bei
anderen, eine Sensation ist es für fast alle.
Der Erfolg wurde nach dem Kriege zur Weltmode. Im Mittelpunkt steht der Fran-
zose). P. Sartre.316 Auch Gegner erkennen seine hohe schriftstellerische Qualität an. Er
ist rücksichtslos in Darstellung des Ekligen, Klebrigen, des Übelkeit Erregenden dieses
Daseins. Eine Stimmung der Verzweiflung, die standhält vor dem Nichts, aber sich der
Freiheit des Menschen in dieser Lage bewußt ist, begründet einen radikalen Atheis-
mus. Weil alles auf den Menschen und seine freien Entscheidungen ankommt, nennt
sich diese Haltung einen Humanismus.317 Sartre, dessen Darstellungsmittel das Schre-
ckenerregende, Sinnlose, und im Sinnlosen beängstigend Konsequente ist, hat ein um-
fassendes philosophisches Werk veröffentlicht: »Das Sein und das Nichts«.318 Diese
Leistung zeigt ihn hervorragend geschult im Handwerk der Philosophie. Er gibt eine
treffliche, wenn auch sehr breite Entwicklung seiner Gedanken. Zum Teil ist er offen-
bar abhängig von Formulierungen, die sich bei Heidegger finden, den er gelegentlich
nennt. Ist hier eine Philosophie auf dem Wege über die Literatur zur Weltgeltung ge-
kommen?
Der Begriff der Existenz, in der neuen Sinngebung dieses alten Wortes, stammt von
Kierkegaard. Seit dem ersten Weltkrieg wurde Kierkegaard, der bis dahin in philoso-
phischen Darstellungen fast Unbekannte, in Deutschland zu einer Grundlage moder-
nen Philosophierens. Obgleich er durch seinen christlichen Glauben dem Zermalmer
des Christentums, Nietzsche, völlig entgegengesetzt schien, wurde er mit diesem zu-
sammengebracht.319 Beide wurden mit Recht ineinsgenommen als die großen Prophe-
ten und Opfer unseres Zeitalters, als die Ausnahmen, denen zwar niemand folgen
durfte, der sie verstand, an denen aber das neue Philosophieren sich orientierte. Denn
man begehrte gegen die Harmlosigkeit der zwar in Verstandesarbeit soliden, aber be-
quemen und lebensfernen Professoren-Philosophie, die sich zur Magd der Wissen-
schaften degradiert hatte, den Ernst wirklichen Philosophierens, den Atem, der aus
der alten großen Philosophie weht. Dieser Atem war bei deren Interpreten verloren ge-
gangen, aber in neuer Wucht bei jenen letzten Philosophen großen Stils fühlbar. Die
an jenen Ausnahmen orientierte Philosophie erhielt bald den Namen Existenzphilo-