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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0234
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Der sogenannte Existentialismus

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sophie, nicht weil sie eine neue besondere Philosophie war - sie war vielmehr die ur-
alte, die im Wust des Unernsten nach dem Durchbruch suchte -, sondern weil sie in-
folge der Gewohnheit der Neuzeit, die Philosophien mit einem Wort zu kennzeichnen,
nach so vielen anderen eben als auch eine, und zwar als Existenzphilosophie, galt. Sol-
che Philosophie entwickelte sich in Deutschland durch jahrzehntelange Arbeit meh-
rerer Professoren. Sie fand Widerhall zuerst in Italien, dann in Frankreich, auch in Ja-
pan und Spanien, fast gar nicht in England und Amerika.320 Aber nie hätte sie diese
Weltmode werden können.
Dazu mußte etwas anderes kommen: eine allem philosophischen Denken vorher-
gehende Stimmung. Diese Stimmung wuchs seit dem ersten Weltkrieg. Sie ist in
Deutschland durch den in den vergangenen Jahren glänzendsten deutschen Schrift-
steller, Ernst Jünger,321 vertreten, der sich zwar weder auf Kierkegaard noch auf Exis-
tenzphilosophie bezieht, aber eine Schulung durch Nietzsche erfahren hat. In ihm ist
diese Stimmung der bloßen Haltung und des disziplinierten Zusehens zu allem, was
ist und geschieht, der zwecklosen Aktivität, der Neigung zum Blick auf das Entsetzli-
che, der ästhetischen Ansammlung beliebig auswechselbarer Traditionselemente und
vor allem der Lust an der Sprache als solcher. Diese Weltstimmung erkannte Nietzsche,
als er in den achtziger Jahren schrieb: »Ich beschreibe, was kommt, was nicht mehr
anders kommen kann: die Heraufkunft des Nihilismus ... Die Zukunft redet schon in
hundert Zeichen ... Unsere ganze europäische Kultur bewegt sich seit langem schon
mit einer Tortur der Spannung wie auf eine Katastrophe los: unruhig, gewaltsam, über-
stürzt, wie ein Strom, der ans Ende will, der sich nicht mehr besinnt, der Furcht davor
hat, sich zu besinnen.«322 Nihilismus, das heißt die Negation aller überlieferten Werte,
Negation des geistigen und sittlichen Grundes, auf dem Europa steht.
Der Existentialismus, der gegenwärtig Weltmode ist, scheint mir nun ein Versuch
der Überwindung des Nihilismus zu sein durch eine verzweifelte Tapferkeit des Nihi-
lismus selber. In glänzenden literarischen Erscheinungen, in einer besonders vom
französischen Geiste, der das geistige Können als solches abgesehen von Inhalt und
Gehalt zu schätzen vermag, hochgewerteten Kunst tritt hier etwas auf, das zugleich
leidenschaftlich bekämpft wird.
Bekämpft aber wird dieser Existentialismus von Männern, die ihrerseits in der Be-
wegung stehen, die von Kierkegaard ausgeht, so in Frankreich von Gabriel Marcel.323
Existenzphilosophisch sprechen auch Theologen protestantischer wie katholischer
Konfession. Der Existentialismus wird angegriffen von Faschisten als verderblicher de-
kadenter Individualismus, von Christen als Atheismus, Nihilismus und sittliche Ver-
wahrlosung, von Kommunisten als Fäulnis der zu Ende gehenden bürgerlichen Gesell-
schaft. Alles und jedes wird dem Existentialismus aufgebürdet oder zu seinen Gunsten
gesagt. Es ist eine babylonische Sprachverwirrung. Man weiß nicht mehr und kann
nicht wissen, was er ist. Er ist überhaupt nichts.324 Man muß sich an persönliche Er-
 
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