Metadaten

Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0251
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar

190
nunft und Widervernunft, 40) gilt er als bloßer Eigensinn des Daseins aus Resignation ange-
sichts der Unmöglichkeit vernünftigen Selbstseins. Und schließlich ist der Wille zum Un-
vernünftigen wirksam in Form der »Zauberei«, einer Mischung aus Ideologie, Egozentrik
und Verführung, die als Gefahr in jedem Philosophieren steckt, deshalb bewusst überwun-
den werden muss, wie exemplarisch in Kants Träumen eines Geistersehers ( Vernunft und Wi-
dervernunft, 59-60, vgl. Die großen Philosophen, 408-409, und insgesamt den Abschnitt »Ge-
gen die Vernunft« in: Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, goof.)
9 Moipa bezeichnet ursprünglich den persönlichen Teil (gepog) z.B. an einer Kriegsbeute, von
daher »Schicksal« im Sinne des Anteils an Leben, der dem Menschen zugemessen ist oder
spezifischer: der Anteil an >jeglichem Ding< (Voß), den die Götter dem Menschen (vor)be-
stimmen, vgl. Odyssee 19, 592t. (eni yap rot eKaoTco poipav, Lidell/Scott: »one's portion in
life«). Das entsprechend rationierte Leben kann selbst von Zeus nicht nachträglich verlän-
gert werden, wobei die Sarpedon-Episode (Ilias 16, 44off.) zeigt, dass es sich nicht primär
um Grenzen des »Wissens und Vermögens«, sondern die Gefährdung der kosmischen Ord-
nung handelt. Jaspers selbst greift die Chiffre der Moira des Öfteren als Korrektiv göttlicher
Allmacht auf (vgl. Philosophie III, 73; Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung,
KJG 1/13, 280 und 377; Die Chiffern der Transzendenz, 80-81).
10 Vgl. Apo/ogic 3id, Pha/dros 242b-c; dass die abratende Stimme ausbleibt, kann indirekt auch
die Richtigkeit einer Handlung bestätigen (Apologie qoa-c), bei Xenophon deutet das
öaipoviov in beide Richtungen voraus (npoaipaiveiv, Memorabilien 4, 8, 1): auf das, was Sok-
rates tun, und was er unterlassen soll. - In der Psychologie der Weltanschauungen wertet Jas-
pers den Verbotscharakter des öaipoviov noch als Kehrseite eines ungebrochenen Ver-
nunftoptimismus: »Es ist merkwürdig, daß diese Stimme nur verbietet. Für das Positive
reichte hier noch der Glaube an die ratio, in einer Zeit, in der sich die Menschen der ratio
bewußt wurden, eine nie wiederkehrende Entdeckerfreude in der rein begrifflichen Arbeit
erfuhren und zum Begriff grenzenloses Zutrauen hatten. Die Schranken der ratio waren bei
Sokrates darum noch negativer Art: die verbietende Stimme; wie im übrigen das Wissen des
Nichtwissens und die mäeutische Kunst, die nichts mitteilt« (333). Später tritt diese Inter-
pretation hinter eine Auffassung zurück, nach der die ratio prinzipiell nicht an situative
Entscheidungen heranreicht, vgl. Die großen Philosophen, 112: »Was in der konkreten ein-
maligen Situation getan werden solle, das läßt sich für Sokrates nicht in jedem Falle durch
das rechte Denken begründen. Die Götter kommen zu Hilfe. Diese Hilfe ist die Grenze, an
der es Gehorsam ohne Einsicht gibt.« Der »Gehorsam ohne Einsicht< speist sich dabei aus
einer Einsicht zweiter Stufe: der Einsicht in die Grenzen der Vernunft.
ii Vgl. Phaidros 244a-245b, 265a—c; vgl. E. R. Dodds: The Greeks and the Irrational, Berkeley
1968, 6qff. (»The Blessings of Madness«).
12 Vgl. Eudemische Ethik VIII, 2, i247b2o-26.
13 Parmenides: DK 28 B 2; Demokrit: DK 67 A 6, 68 A 37; Platon: Phaidon 79a; Aristoteles:
Metaphysik VII, 3.
14 Als häretisch skandalisierte erstmals Bernhard von Clairvaux - gegen Abaelard - die Beru-
fung auf Vernunftgründe in Glaubensfragen. Abaelard »entleere« den christlichen Glau-
ben, indem er behaupte, alles, was Gott sei, durch menschliche Vernunft verstehen zu kön-
nen (»Petrus Abaelardus christianae fidei meritum evacuare nititur, dum totum quod Deus
est, humana ratione arbitratur se posse comprehendere«, PL 182, 357). Bernhard erreichte
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften