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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0286
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Stellenkommentar

225

Verständnis von Nähe und Distanz zwischen Philosophie und Religion (K. Jaspers an E.
Mayer, 6. November 1937):
»1 ) Philosophie ist abhängig von Religion a) in faktischer Geschichte b) sociologisch
wahrscheinlich dauernd. Ihr eigener Ursprung ist einmal wie religionsfremd, dann wieder
wie etwas, das sich in die Religion aufnehmen lassen möchte.
2) M.E. muss sich Philosophie nicht primär von allen Geglaubten zurückziehen. Sie kann
vielleicht das Geglaubte erhellen. Ihr eigenes Princip ist ein Glaube, aus dem sie gegen ein-
zelne Gestalten des religiösen Glaubens - vielleicht nicht gegen alle - sich absetzen kann -
im Christentum m.E. allerdings zum Teil auch muss (das ist vielleicht selbst geschichtlich
und jedenfalls nicht primär, sondern sekundär, d.h. nicht Ursprung, sondern Folge) - ohne
Verwerfung, ohne Polemik - wenn auch infragestellend.
3) Was Autorität sei, weiss ich nicht. Es ist etwas, in das ich denkend eindringe, das ich
aber nicht übersehe. Daher kann sie zuletzt nicht deutlich werden - sowenig wie Religion
(das sagte ich schon in meiner Philosophie). Etwas Vages - im Sinne allen Denkens des Um-
greifenden - muss bleiben.
4) Ich neige immer mehr dazu einen Satz wie Deinen: »Philosophie ist da für die, die zu
ihr wollen, nicht da für die, die vor ihr bewahrt werden wollen< - fragwürdig zu finden. Oder
jedenfalls wahr nur, wenn das >wollen< klar ist: Dieses Wollen als das Innerste ist dann nicht
enttäuscht, wenn der Ausdruck in der Mitteilung schlapp zu machen scheint. Philosophie
muss sich auf das klarste verbergen, damit sie nur von denen bemerkt wird, die von sich aus
in ihrer existentiellen Wirklichkeit entgegenkommen. Für alle Anderen müsste sie, wenn
es nur ginge, zugleich so aussehen, als ob sie fordere: geht in die Kirche! Es ist zu sehr das
eingebildete Wollen zur Philosophie in unserer Welt verbreitet. Aus dem Philosophieren
leben, ist fast unmöglich. Es wollen ist allzuoft ein Ausweichen vor der Unerbittlichkeit des
Wirklichen und der Disciplin durch Autorität. Ich denke daher: mich so ausdrücken, dass
die Religion offen steht für den, der Objektivität gegeben haben will, der Fakten will und
die Philosophie als etwas wenig begehrenswertes zu zeigen: Sie nicht nur niemand aufzwin-
gen, sondern gar vor ihr warnen. Sie nicht jemandem zumuten, sondern die ungeheuren
Ansprüche fühlbar machen, ohne die der Weg zur Philosophie Schwindel wird.«
das sagte ich schon in meiner Philosophie! vgl. Philosophie I, 295: »Vom Philosophieren
her ist das positiv Bestimmte der Religion nicht eigentlich zu sehen.«
263 pragmatisch! hier im neuzeitlichen Sinne einer weder moralisierenden noch bloß chrono-
logischen, sondern an empirischen Kausalzusammenhängen und psychologischen Hand-
lungsmotiven orientierten Geschichtsschreibung, vgl. im Einzelnen G. Kühne-Bertram:
»Aspekte der Geschichte und der Bedeutungen des Begriffs >pragmatisch< in den philoso-
phischen Wissenschaften des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts«, Archiv für Be-
griffsgeschichte 27 (1983) 158-186, v.a. i68ff.
264 In der Philosophie (III, 129-134) verortet Jaspers den Mythos als »zweite Sprache« der Trans-
zendenz zwischen der ersten Sprache unmittelbarer Erschlossenheit von >Sein< und einer drit-
ten, spekulativen Sprache, wobei die drei Sprachen auch genealogisch als Stufen der Lesbarkeit
von Transzendenz verstanden werden können. Die erste Sprache richtet sich in unwillkürli-
chen Chiffren, die der »Physiognomik allen Daseins« entspringen (»alle Dinge scheinen ein
Sein auszudrücken«, ebd., 143), an die »metaphysische Erfahrung«: >Erfahrung< bedeute hier
die unmitteilbare, weil unvordenkliche »Seinsübersetzung aus bloßem Dasein in Ewigkeit,
 
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