Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0032
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Grundsätze des Philosophierens

29

das »nicht« alles Endlichen, also für das endliche Denken scheinbar nichts. Er ist
nichts, wenn die Summe der Endlichkeiten alles ist und jedes Endliche absolutes Sein
hat. Dass Gott im Gedachtwerden das Nichts gegenüber allem Weltsein ist, will daher
sagen: er ist nicht weniger, sondern mehr als alle Realität, er ist die Wirklichkeit selbst,
ist das Sein schlechthin. So lange ich, gefesselt in der empirischen Realität des
Weltseins, dieses für absolut halte, ist Gott nicht.
Trotzdem ist von jeher Gott gedacht und vorgestellt. Ist er in Gedanken oder Gleich-
nissen vor Augen, so ist doch jede Weise von Gedanke und Bild wie ein Schleier. Gott
scheint nichts zu sein, wenn wir uns keine Vorstellung erlauben dürfen; er ist verbor-
gen, wenn wir eine doch immer ungemässe Vorstellung versuchen. Denn was Gott ist,
wird nur erblickt durch Endliches hindurch. Dieses Endliche wird dann Symbol (Be-
deutung, Sprache, Chiffre). Es wird sogleich falsch, wenn es Gott selbst sein solL
Wenn Gott unsichtbar und undenkbar ist, in jeder Sichtbarkeit und Denkbarkeit
nur verborgen bleibt, so heisst das: Jede Gestalt von ihm ist ein verschwindender As-
pekt. Aber im Aspekt haben wir vielleicht eine Spur seines Wesens. Es ist etwas Hin-
reissendes im verschwindenden Symbol, es reisst über das Verschwindende hinaus in
dessen Grund.
So wird Gott vermeintlich erkannt in Natur und Geschichte. In der Natur erscheint
die unbegreifliche Zweckmässigkeit und Schönheit, eine unendlich fruchtbare Phan-
tasie des Gestaltens, die Welt als Kunstwerk Gottes. Aber ebenso entschieden ist in der
Natur das Unzweckmässige (Dysteleologie), das Hässliche und Gemeine, Eklige und
Dumme. - In der Geschichte erscheint auf Strecken Sinnzusammenhang, eine Einheit
des Geschehens. Aber überwältigt wird dieses durch das undurchdringliche Sinn-
fremde, das Zufällige und Chaotische. Daher die Abneigung - z.B. Goethes - gegen die
Geschichte wegen ihrer Verworrenheit.9
Nirgends ist Gott selbst, oder er ist überall. Es ist ein Irrweg, irgendwo in der Welt
eindeutig und einzig Gott zu haben. Es ist auch falsch zu sagen: Gewissens Stimme ist
Gottes Stimme. Denn das Gewissen kann eindeutig für den Menschen sein, und ist
darum noch keineswegs eindeutig als Gottes Gebot. Auch hier bleibt alles zweideutig:
es ist eine Tendenz im Menschen, sich selber, sein Fürwahrhalten, seinen Glauben ab-
solut zu machen durch Berufung auf Gott.
Vor allem und am überzeugendsten wird Gott als Persönlichkeit vorgestellt. Er wird
ansprechbar, und er lässt sich hören. Es erwächst eine persönliche Beziehung des Men-
schen zum Du, zu dem er betet, dem er dankt, und von dem er bittet, den er liebt. Gott
kann vorgestellt werden in seiner Macht, seiner Güte, seiner Liebe, als Richter, als Va-
ter. In der Tat ist Persönlichkeit für uns die höchste Realität in der Welt. Persönlichsein
gilt daher als die angemessenste Form der Wirklichkeit Gottes (nach Elementen und
Gestirnen, Pflanzen und Tieren, die in Naturreligionen sein Wesen aussprechen). In
ihm machen wir die für uns höchste Gestalt der Daseinsrealität - die Persönlichkeit -
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften