Grundsätze des Philosophierens
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am Ende Zerstreutheit; das Herrlichste entbehrt der Unbedingtheit, wenn der Grund
im Einen fehlt. Es ist ein bleibendes Problem des Menschen, so gegenwärtig wie vor
Jahrtausenden, ob er das Eine oder den Einen zum Grunde seines Lebens gewinnt.
3. Dein Wille geschehe.13 - Diese Grundhaltung des Menschen zu Gott besagt: Sich
beugen vor dem Unbegreiflichen im Vertrauen, dass es über, nicht unter der Begreif-
lichkeit liege. »Deine Gedanken sind nicht unsere Gedanken, deine Wege sind nicht
unsere Wege.«14
Das Vertrauen in dieser Grundhaltung ermöglicht ein umgreifendes Dankgefühl
ohne eine gegenständlich vor Augen erscheinende Persönlichkeit, eine zugleich welt-
lose und unpersönliche Liebe, schliesslich gar ein Bitten ohne Meinung, das Erbetene
durch Bitten zu erwirken.
Der Mensch steht vor der Gottheit als dem deus absconditus15 und kann das Ent-
setzlichste hinnehmen als Ratschluss dieses verborgenen Gottes, ihn im Äussersten
ansprechend als das decretum horribile,16 wohl wissend, dass, wie immer er dieses in
bestimmter Weise ausdrückt, es schon in Menschenauffassung ausgesprochen und da-
her falsch ist, ja falsch schon in der Weise, wie es allgemein benannt wurde.
g. Die Ursprünglichkeit des Gottesglaubens verwehrt jedes Mittlertum. - Die Antwort
auf die Frage, ob Gott sei, kann verweigert werden: Gott sei unzugänglich; Gott zu finden,
sei an einen Weg gebunden, den zu glauben Bedingung sei. So steht es mit dem Glauben
an Christus, für diesen gilt: Ohne Christus kein Gott, Christus der Weg, der Mittler, die
Offenbarung in der Welt, das Heilsgeschehen, die Hand der Gnade, die Nähe Gottes.
So steht es auch mit jedem anderen absoluten Glauben an etwas in der Welt, wie
dort an Christus, so an offenbarte Gesetze und Riten, so an die reale Kirche (die Auto-
rität der Kirche ist für Augustin erst der Grund, dass er der Bibel Glauben schenkt),17 so
an Volk und Staat, so an den Geliebten, so an andere Objekte in der Welt.
Das philosophisch Entscheidende ist, dass der Glaube an Gott wirklich wird ohne
irgendwelche bestimmte, für alle gleicher Weise unumgängliche Bindungen. In jewei-
liger Geschichtlichkeit findet die unmittelbare, keines Mittlers bedürfende, unabhän-
gige Beziehung des Einzelnen zu Gott statt.
Die Geschichtlichkeit ist nicht allgemein für alle. Sie ist in ihrer Aussagbarkeit oder
Darstellbarkeit nicht absolute Wahrheit, sondern in ihr wird das Absolute ergriffen.
Der geschichtliche Weg des Einzelnen ist sein Weg, nicht der Weg. Wohin aber er
kommt, ist das Eine, allen Gemeinsame. Was auf dem Wege Hinweis ist, was dort wie
eine Garantie der Wahrheit wirkt - und doch keine faktische Garantie ist, denn das
wäre Aberglauben -[,] ist nicht Bedingung für alle, sondern historische Gestalt in un-
endlichen Modifikationen.
Was Gott ist, muss er wirklich und absolut sein, und nicht nur in einer der geschicht-
lichen Erscheinungen seiner Sprache in der Sprache der Menschen. Wenn er ist, muss
er unmittelbar, ohne Umweg und Mittler fühlbar sein für den Menschen als Einzelnen.
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am Ende Zerstreutheit; das Herrlichste entbehrt der Unbedingtheit, wenn der Grund
im Einen fehlt. Es ist ein bleibendes Problem des Menschen, so gegenwärtig wie vor
Jahrtausenden, ob er das Eine oder den Einen zum Grunde seines Lebens gewinnt.
3. Dein Wille geschehe.13 - Diese Grundhaltung des Menschen zu Gott besagt: Sich
beugen vor dem Unbegreiflichen im Vertrauen, dass es über, nicht unter der Begreif-
lichkeit liege. »Deine Gedanken sind nicht unsere Gedanken, deine Wege sind nicht
unsere Wege.«14
Das Vertrauen in dieser Grundhaltung ermöglicht ein umgreifendes Dankgefühl
ohne eine gegenständlich vor Augen erscheinende Persönlichkeit, eine zugleich welt-
lose und unpersönliche Liebe, schliesslich gar ein Bitten ohne Meinung, das Erbetene
durch Bitten zu erwirken.
Der Mensch steht vor der Gottheit als dem deus absconditus15 und kann das Ent-
setzlichste hinnehmen als Ratschluss dieses verborgenen Gottes, ihn im Äussersten
ansprechend als das decretum horribile,16 wohl wissend, dass, wie immer er dieses in
bestimmter Weise ausdrückt, es schon in Menschenauffassung ausgesprochen und da-
her falsch ist, ja falsch schon in der Weise, wie es allgemein benannt wurde.
g. Die Ursprünglichkeit des Gottesglaubens verwehrt jedes Mittlertum. - Die Antwort
auf die Frage, ob Gott sei, kann verweigert werden: Gott sei unzugänglich; Gott zu finden,
sei an einen Weg gebunden, den zu glauben Bedingung sei. So steht es mit dem Glauben
an Christus, für diesen gilt: Ohne Christus kein Gott, Christus der Weg, der Mittler, die
Offenbarung in der Welt, das Heilsgeschehen, die Hand der Gnade, die Nähe Gottes.
So steht es auch mit jedem anderen absoluten Glauben an etwas in der Welt, wie
dort an Christus, so an offenbarte Gesetze und Riten, so an die reale Kirche (die Auto-
rität der Kirche ist für Augustin erst der Grund, dass er der Bibel Glauben schenkt),17 so
an Volk und Staat, so an den Geliebten, so an andere Objekte in der Welt.
Das philosophisch Entscheidende ist, dass der Glaube an Gott wirklich wird ohne
irgendwelche bestimmte, für alle gleicher Weise unumgängliche Bindungen. In jewei-
liger Geschichtlichkeit findet die unmittelbare, keines Mittlers bedürfende, unabhän-
gige Beziehung des Einzelnen zu Gott statt.
Die Geschichtlichkeit ist nicht allgemein für alle. Sie ist in ihrer Aussagbarkeit oder
Darstellbarkeit nicht absolute Wahrheit, sondern in ihr wird das Absolute ergriffen.
Der geschichtliche Weg des Einzelnen ist sein Weg, nicht der Weg. Wohin aber er
kommt, ist das Eine, allen Gemeinsame. Was auf dem Wege Hinweis ist, was dort wie
eine Garantie der Wahrheit wirkt - und doch keine faktische Garantie ist, denn das
wäre Aberglauben -[,] ist nicht Bedingung für alle, sondern historische Gestalt in un-
endlichen Modifikationen.
Was Gott ist, muss er wirklich und absolut sein, und nicht nur in einer der geschicht-
lichen Erscheinungen seiner Sprache in der Sprache der Menschen. Wenn er ist, muss
er unmittelbar, ohne Umweg und Mittler fühlbar sein für den Menschen als Einzelnen.